Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)
die dazu beigetragen haben, dass zwei neue Parteien entstanden sind, die der SPD heute schwer zusetzen.
Ich kenne das Argument, halte es aber für falsch.
Wäre die Linke etwa auch ohne die Agenda 2010 entstanden?
Wahrscheinlich ja.
Aber sie wäre doch nie so stark geworden!
In den ostdeutschen Bundesländern schon; in den westdeutschen wahrscheinlich nicht. Da hat die künstliche Empörung über die Agenda 2010 den Linken natürlich sehr genützt.
Zurück zu den Grünen: Hatten Sie in den letzten Jahren Ihrer Kanzlerschaft wirklich ein Gefühl dafür, wie stark die ökologische Idee die Menschen bewegt hat?
Was Ökologie angeht, muss ich mir keinerlei Vorwürfe machen; insofern bin ich, unter dem starken Einfluss meiner Frau Loki, seit mehr als einem halben Jahrhundert ein Grüner. Aber es ist eben ein ganz großer Unterschied, ob man idealistische Vorstellungen formuliert oder ob man das tut, was wirklich möglich ist, ohne der Volkswirtschaft unnötig zu schaden. Wir haben die von Adenauer bis Brandt ins Werk gesetzte Energiepolitik fortgesetzt: einerseits Kohle, andererseits Braunkohle, drittens Kernkraftwerke – in der Vorstellung, dass man erst später wissen kann und entscheiden muss, ob die eine oder die andere Art der Energieerzeugung Vorrang haben sollte vor den anderen Arten oder ob die eine oder andere, wie es heute scheint, endgültig ausgeschieden werden muss. Ich habe zum Beispiel zu meiner Regierungszeit durch den sogenannten Jahrhundertvertrag dafür gesorgt, dass die deutsche Kohleerzeugung nicht etwa aus unternehmerischen Gründen auf null gefahren wurde, sondern dass die Kohleerzeugung aufrechterhalten wurde.
Auch wenn Sie die Kraft der ökologischen Idee erkannt haben – die Kraft der grünen Bewegung haben Sie doch unterschätzt. 1982 haben Sie in einem Interview gesagt: »Ich glaube nicht, dass die Grünen auf Dauer existenzfähig sein werden. Diese Bewegung ist völlig unpolitisch, sogar politisch naiv.«
Man muss sich heute klarmachen, dass die Grünen damals keineswegs nur eine ökologische und pazifistische Bewegung waren, sondern mindestens genauso starke kommunistische und anarchistische Wurzeln hatten. Diese beiden Wurzeln waren in den siebziger Jahren ganz deutlich zu erkennen. Cohn-Bendit haben Sie ja eben selbst erwähnt …
… heute ein Realpolitiker vor dem Herrn!
Ja, der hat sich gewaltig gewandelt, ebenso wie Herr Trittin, der auch als Kommunist angefangen hat. Die Grünen sind im Laufe der Jahrzehnte erwachsen geworden. Das beste Beispiel dafür ist Joschka Fischer, der in Turnschuhen erschien, um seinen Eid als hessischer Landesminister abzulegen. Er wollte provozieren. Das war alles. Er war nicht für Ökologie, er war gegen das System. Inzwischen ist er erwachsen, seine heutigen Reden und Aufsätze haben staatsmännisches Format. Das kann man akzeptieren. Aber was er damals gemacht hat, musste man nicht ganz ernst nehmen.
Sie haben über den Außenminister Fischer immer ein bisschen gespöttelt, als eine Art Wiedergeburt von Gustav Stresemann.
Gespöttelt, das ist richtig. Ich habe ihm sehr übel genommen, dass er die deutsche Beteiligung an der vom Sicherheitsrat der UN nicht genehmigten militärischen Intervention auf dem Balkan mit dem Hinweis auf den millionenfachen Mord an den europäischen Juden in Auschwitz begründet hat. Der Vergleich war absolut unangemessen.
Hat es Sie etwas versöhnt, dass Fischer dem amerikanischen Verteidigungsminister Rumsfeld die Stirn geboten hat, als es um die Irak-Intervention ging?
Ja, das war ganz vernünftig. Aber man muss keine Versöhnungsfeier veranstalten, nur weil jemand etwas Vernünftiges gesagt hat. Donald Rumsfeld hatte eine absolut abwegige Vorstellung von Europa. Er war auf einem Auge blind, und das andere Auge guckte auch nicht ganz geradeaus.
Sie haben gerade an die frühen Provokationen der Grünen erinnert: Wie haben Sie die neuen Abgeordneten damals erlebt?
An die Einzelheiten kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber der Wille zur Provokation war eindeutig. Trotzdem habe ich gelegentlich mit Grünen geredet, zumeist bei kirchlichen Veranstaltungen.
Können Sie sich an einen Politiker der Grünen erinnern, mit dem Sie gesprochen haben?
Antje Vollmer ist mir da in besonderer Erinnerung geblieben – ich weiß gar nicht, ob sie heute noch zu den Grünen gehört.
Ja, aber sie ist nicht mehr besonders aktiv. Erhard Eppler, Ihr Genosse bei der SPD, war übrigens schon Anfang der Achtziger für eine
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