Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)
aufhielten, machten einen gesunden und abgehärteten Eindruck.
Frau Wittich entdeckte mich und entschuldigte sich. Ihr Blick fiel auf die drei Neuankömmlinge, die sich natürlich nicht gesetzt hatten, sondern hinter mir her trotteten.
»Na, so was!«, rief sie fröhlich aus. Am liebsten hätte sie wohl noch in die Hände geklatscht. »Dass wir Sie schon so bald in unserem Haus begrüßen dürfen!«
»Das ist meine Mutter, Hildegard Vernau. Sie hatten ja gesagt, das Apartment ist im Moment frei. Da wollten wir die Gunst der Stunde nutzen.«
Mutter trat vor. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte einen Knicks gemacht. »Mein Sohn hat mir so viel erzählt von … von …«
»Und mir erst, Frau Vernau. Da werden wir viel Stoff für Unterhaltungen haben, nicht?«
Mutter sah mich an. Ich überging ihr stummes Flehen um Hilfe und wandte mich an Hüthchen.
»Darf ich vorstellen? Ingeborg Huth.« Das von ließ ich doch lieber weg. Aus rein juristischen Gründen. »Sie ist eine sehr enge Freundin meiner Mutter.«
Wenn Frau Wittich darin etwas Ungewöhnliches sah, so ließ sie es sich nicht anmerken.
»Herzlich willkommen, Frau Huth.«
»Und das ist …«
Das Fräulein trat vor. »Mathilde. Ich begleite die beiden Damen, achte auf die Medikamentengabe und dass es ihnen auch sonst an nichts fehlt.«
Frau Wittich runzelte minimal die Stirn. »Nun … Sie wissen aber, dass unser Belegungskonzept das Mitbringen von Hausangestellten nicht vorsieht. Wir haben unser eigenes Personal.«
Zwei ältere Damen, die eine hochgebrechlich und zudem mit einem sadistischen Augenoptiker gestraft – anders konnte ich mir dieses Ungetüm von Brillengestell auf ihrer zarten Nase nicht erklären –, die andere hübsch zurechtgemacht und frisiert, äugten zu uns herüber. Überall im Garten standen verschnörkelte weiße Eisenstühle an runden, ebenso verschnörkelten Tischen. Noch war es trocken, und bis zur Teestunde konnte die Zeit lang werden.
»Natürlich«, sagte ich. »Während ich das Gepäck hole, könnte Krystyna, sofern sie Dienst hat, den Damen vielleicht die Zimmer zeigen?«
Das Lächeln in Frau Wittichs Gesicht verschwand. »Bitte folgen Sie mir ins Haus. Wie müssen noch einige kleinere Formalitäten klären.«
Gehorsam liefen wir im Gänsemarsch zurück in die Empfangshalle. Das dunkle Holz glänzte, die Blumengestecke wirkten wie von einem Staatsbegräbnis geklaut. Mutter und Hüthchen sahen sich eingeschüchtert um. Ich hoffte, dass ihnen dieses Gefühl spätestens in dem modernen Anbau abhandenkam. Für zweihundert Euro sollten sie die Pracht genießen und nicht ehrfurchtsvoll bestaunen.
»Gregor wird Sie hinaufbegleiten. – Gregor?«
Ein junger, hochaufgeschossener Mann mit schmalem Gesicht und dunklen, kurzgeschorenen Haaren kam aus dem Speisesaal. Er trug eine weiße, kurze Kochjacke, wahrscheinlich ein Auszubildender. Seine Augen waren gerötet. Vielleicht vom Zwiebelschneiden, denn ihn umfing ein schwacher Duft nach frischem Gemüse und Fleischbrühe.
»Könnten Sie die Damen bitte nach Clemantia begleiten?«
Er vollführte einen angedeuteten Diener. »Aber selbstverständlich, Frau Wittich. Es wird mir ein Vergnügen sein.«
»Das Gepäck ist noch im Wagen«, ergänzte ich und reichte ihm den Schlüssel.
Während die Damen ihm folgten, führte mich Frau Wittich ins Büro. Ich hoffte, dass die vorübergehende Unterbringung im Haus Emeritia nicht meldepflichtig war. Das hätte Fräulein Mathilde in Schwierigkeiten bringen können.
»Zahlen Sie bar oder mit Kreditkarte?«
»Wie? Ach so. Ja. Mit Kreditkarte.« Ich hoffte, das Limit war noch nicht überschritten.
Frau Wittich hielt wieder auf ihr Büro zu.
»Ist Krystyna dieses Wochenende gar nicht da?«
Die Leiterin sah schnell über die Schulter und öffnete die Tür. »Bitte, nicht hier draußen.«
Während ich eintrat, beschlich mich eine Vorahnung. Mit Krystyna stimmte etwas nicht. Wir setzten uns wieder auf die Couch.
»Wo ist sie denn?«
»Frau Nowak ist … leider … nicht mehr unter uns.«
»Hat sie gekündigt?«
»Nein. Schlimmer, viel schlimmer. Sie ist tot.«
»Tot.«
»Ein Unfall.«
»Ein Unfall.« Viel mehr, als das Gesagte zu wiederholen, gelang mir nicht. »Ein Verkehrsunfall?«
»Sie ist die Kellertreppe hinuntergestürzt.«
»Wann?«
»Gestern. Kurz nachdem Sie da waren. Wir können es alle immer noch nicht fassen.«
Mord . Das war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss. Sie müssen hier weg ,
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