Versunkene Gräber - Roman
sich ab. »Das war sehr freundlich von Ihnen.«
In ihren Ohren klang es immer noch ironisch. Sie atmete tief durch. Wahrscheinlich bildete sie sich das ein. Kein Mörder saß im Knast von Poznań und verhielt sich, als ginge ihn das alles nichts an.
Und behandelt seine Anwältin wie einen Laufburschen .
»Ich versichere Ihnen, ich werde weder mit Frau Hoffmann noch mit Herrn Vernau zusammenarbeiten, falls Sie das gehofft hatten.«
»Ich hatte lediglich gehofft, Sie wären zu dieser einfachen Aufgabe in der Lage.«
»Bitte?«, fragte sie scharf.
Er beugte sich vor und legte die Unterarme auf der Tischplatte ab. Sie sah Drachen und gefährliche Wasserschlangen, Tribals und ein paar Buchstaben. »Wild« stand da. Sie riss den Blick von seinen Muskeln los und sah ihm in die Augen. Sie waren dunkelbraun, schmal und gefährlich.
»Ich wollte nichts anderes, als dass Sie eine alte Freundin finden.«
»Warum?«
»Das haben Sie mich schon mal gefragt. Weil ich sie brauche.«
»Wofür? Als Rechtsbeistand? Wenn ich gewusst hätte, wen ich für Sie suchen soll …«
Er stieß scharf die Luft aus und lehnte sich zurück. Sein Blick ging nach oben, als ob er den Himmel um Geduld bitten würde. Das machte sie noch wütender. Sie war neunundzwanzig, hatte eine sensationelle Aufnahmeprüfung an der Jagiellonen-Universität in Kraków abgelegt und einen Magisterabschluss summa cum laude . Sie hatte für eine der renommiertesten Kanzleien gearbeitet und war dann, sozusagen im Doppelfehler, der Liebe wegen in der Provinz gelandet. Der Mann, der sie hierher verschleppt hatte, war neben dem Umzug der größte Irrtum ihres Lebens gewesen. Er hatte sie unmittelbar nach Alicjas Geburt sitzengelassen. Sie sehnte sich danach, so schnell wie möglich nach Kraków zurückzukehren. Doch ihre Stelle war längst neu besetzt, und je länger sie in Poznań blieb, umso mehr beschlich sie das Gefühl, auf einem Abstellgleis gelandet zu sein. Alicja, dachte sie, und wilde Sehnsucht nach dem glucksenden Lachen und den warmen Ärmchen des Kindes erfasste sie. Ali wuchs bei ihren Eltern in Zielona Góra auf, über eine Autostunde entfernt, aber ohne die beiden könnte sie ihren Beruf überhaupt nicht mehr ausüben.
»Was ist mit dem Meldeamt? Haben Sie es dort versucht?«
Sie schrak hoch, hatte einen Moment nicht aufgepasst, sich in privaten Gedanken verloren.
»Nein. Ich bin keine Privatdetektivin. Wir sollten uns auf die Ermittlungsergebnisse und die Anklageerhebung konzentrieren.« Sie tippte mit dem Finger auf die Akten. »Man hat Sie in Ihrem Haus in der Siedlung Janekpolana festgenommen. Sie lagen sturzbetrunken in Ihrem Bett, nachdem Sie Ihre Kleidung im ganzen Erdgeschoss verteilt hatten.«
»Das ist kein Verbrechen.«
»Man wird Ihnen zur Last legen, in der Nacht vom vierzehnten auf den fünfzehnten Juni den deutschen Staatsangehörigen Horst Schwerdtfeger durch einen Schlag auf den Kopf tödlich verletzt zu haben. Die Spurensicherung hat Abdrücke Ihrer Stiefel am Tatort gefunden. Sie hatten Blut des Opfers an Ihrer Kleidung. Die Tatwaffe, eine Eisenstange, wurde vor dem Eingang zu Ihrem Haus gefunden. Herr Zielińksi«, wieder deutete sie auf die Papiere, » das ist ein Verbrechen.«
»Ich muss dringend mit Frau Hoffmann reden.«
»Sie hatten einen Blutalkoholwert von zwei Komma zwei Promille. Das reicht nicht für einen Filmriss. Aber mit etwas Glück werden wir eine eventuelle Mordanklage zu Totschlag herunterdeklinieren können.«
Er hieb mit der Faust auf den Tisch. Sie fuhr zusammen. Der Wachoffizier trat einen Schritt vor.
»Ich bin kein Mörder und auch kein Totschläger.«
»Dann kooperieren Sie und machen eine Aussage!«
»Nein!«
Ruhig, dachte sie. Ganz ruhig bleiben. Dass ich mir mit meinem ersten Mörder aber auch gleich so einen Typen eingefangen habe.
»Sie bleiben dabei, dass Sie sich an nichts erinnern können?«
»Ja. Zumindest nicht an das, was zur angeblichen Tatzeit geschehen sein soll.«
»Zwischen zwei und drei Uhr morgens. Sie beharren weiterhin darauf, in Ihrem Bett gelegen und Ihren Rausch ausgeschlafen zu haben? Allein.«
Schweigen.
»Allein?«
Er nickte zögernd.
»Gut.« Mit einem Seufzen schob sie die Papiere zusammen. »Also bleiben wir dabei … Sie sind unschuldig.«
Sie spürte selbst, wie wenig überzeugend das klang. Wenn sie schon Jacek Zieliński nicht glaubte, wie sollte sie dann das Gericht vom Gegenteil überzeugen?
»Finden Sie Frau Hoffmann«, sagte er leise.
Sie
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