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Versunkene Gräber - Roman

Versunkene Gräber - Roman

Titel: Versunkene Gräber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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vorhandene Sympathie für meine Kanzleipartnerin war daraufhin merklich abgekühlt. Der längst vergessene Spitzname »Rotarmistin« war seitdem wieder öfter in seinem Sprachgebrauch.
    Der Fahrstuhl hielt. Die Tür öffnete sich automatisch – Tiffy hatte das Heranrollen ihres Ernährers gehört und strahlte uns an.
    »War’s schön?«, piepste sie. Jedes Mal, wenn wir zusammen essen gingen, fragte sie das hinterher, ohne mit einer Antwort zu rechnen. »Zwei Anrufe von Dreywitz wegen der Bewährung für seinen Sohn.«
    »Kannste gleich durchstellen.« Marquardt warf einen kurzen Blick in den Posteingangskorb.
    Mercedes Tiffany verschwendete ihr Lächeln nun auch an mich. »Für Sie ist nichts gekommen.«
    »Danke.« Ich hängte meinen Mantel an der Garderobe auf und wollte in mein Büro.
    Tiffy versenkte sich mit gerunzelter Stirn und krausem Näschen in ihre kryptischen Aufzeichnungen. »Das heißt … jemand wollte Sie sprechen. Eine Frau. Irgendwas mit M.«
    »Marie-Luise?«, fragten Marquardt und ich wie aus einem Mund.
    Betrübt blickte Tiffy hoch. »Ich kann es nicht mehr lesen.«
    Marquardt drehte sich zu mir um und schenkte mir einen Blick, in dem alle Sorge, alle Pein, aller unendlicher Schmerz von Vätern bildhübscher, aber irgendwie verpeilter Töchter lag. In vier Monaten würde Tiffy heiraten und unsere Kanzlei verlassen. Auf dem Schweizer Internat, das Marquardt dem einzigen bis dato bekannten Spross seiner Lenden hatte angedeihen lassen, war es zu jener folgenreichen Begegnung gekommen, auf die die gesamte teure Ausbildung sowie ein unnützes, weil vor dem ersten Staatsexamen abgebrochenes Jurastudium ausgerichtet gewesen waren: Kontaktanbahnung zu schwer- und einflussreichen Familien. Die Freude der harrenden Eltern war groß, als sich tatsächlich ein aussichtsreicher Anwärter aus dem nebulösen Beziehungsgeflecht ihrer Tochter herauskristallisierte. Der junge Mann war ein italienischer barone . Marquardt hatte daraufhin die konspirative Nähe zu einem Heraldiker gesucht – Tiffy sollte zur Hochzeit schließlich auch von ihm einen Siegelring erhalten.
    Manchmal regte sich in mir leiser Neid. Nicht auf die Rentenzusatzversorgung durch den italienischen Adel, den es seit 1946 sowieso nur noch auf dem Papier gab. Eher darauf, dass es Menschen gab, die ein Leben planten und deren Pläne auch noch aufgingen. Vor einem Vierteljahrhundert hatten ein Mann und eine Frau an der Wiege ihres neugeborenen Mädchens gestanden und mit geradem Blick und konsequenten Schritten seine Zukunft organisiert. Französische Kinderfrau, Diplomaten-Kita, mehrsprachige Europaschule, Bakkalaureat in Lugano. Und Peng. Volltreffer. Manchmal hatte ich das Gefühl, Leute wie Marquardt kannten keine Fehlschüsse.
    Ich konnte noch nicht einmal die nächsten Wochen planen. Das Geschäft lief schleppend. Da Marquardt, anders als Marie-Luise, tatsächlich auf der Begleichung von Miete und Nebenkosten bestand, kam ich, was meinen eigenen Lebensstandard betraf, vergleichsweise langsam voran. Ich hätte mir die Poulardenbrust einpacken lassen sollen.
    »War es was Wichtiges?«, fragte die zukünftige italienische baronessa mit zukünftigem Wohnsitz in der Nähe von Mailand, für den sie in den vielen ruhigen Stunden in der Kanzlei dicke Bände von Tapeten- und Stoffbüchern wälzte. »Sie meldet sich ja wohl noch mal, wenn es was Wichtiges war. Oder?«
    Ich nahm den Mantel wieder von der Garderobe und streifte ihn mir über. »Bestimmt. Sagen Sie bitte für heute Nachmittag alle meine Termine ab. Ich muss kurz weg.«
    Sie versenkte sich wieder in ihren Kalender. »Sie haben heute gar keine Termine, Herr Vernau.«
    Aber da war ich schon fast draußen.

2
    Wie ich später, viel später erfuhr, saß Zuzanna Makowska zu diesem Zeitpunkt schon im Zug nach Poznań Główny. Sie verließ ihn nach knapp drei Stunden, lief durch die Unterführung, bestieg ihr Auto und fuhr auf dem Weg in die ul. Młyńska noch an einem Carrefour-Markt vorbei, um einige Einkäufe zu erledigen. Wenig später parkte sie unweit des Areszt Ś ledczy , der Justizvollzugsanstalt.
    Das Gebäude war ein elendsgelber, siebenstöckiger Kasten, umgeben von einer stacheldrahtbewehrten Mauer, hinter der rund sechshundert Häftlinge ihre Strafen absaßen. Da für Untersuchungsgefangene andere Besuchszeiten galten und Zuzanna das Honorar unter der Auflage erhalten hatte, so schnell wie möglich Bericht zu erstatten, hatte sie sich für den frühen Abend angemeldet. Es war

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