Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Versunkene Gräber - Roman

Versunkene Gräber - Roman

Titel: Versunkene Gräber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
Vom Netzwerk:
war der zweite. Du bist wahnsinnig, wenn du sie hierlässt.
    »Es ist eine steile, enge Treppe. Krystyna Nowak muss ausgerutscht sein. Frau Reichert hat sie gefunden. Auf dem Weg in den Garten. Die Kellertür stand offen, sie hat hineingesehen und … Die Ärmste steht wohl immer noch unter Schock. Sie und Frau Nowak haben sich so gut verstanden.«
    »Wie ist das passiert?«
    »Wir wissen es nicht. Glauben Sie mir, es ist ein großer Verlust für uns alle. Sie hinterlässt einen Mann und zwei Kinder. Nun ja, die beiden studieren schon, aber dennoch …«
    Frau Wittich legte die Fingerspitzen aneinander. Todesnachrichten sanft und einfühlsam zu übermitteln gehörte zu ihrem Standardrepertoire. Trotzdem half es nicht über den Eindruck hinweg, dass im Haus Emeritia ziemlich viel gestorben wurde.
    »Schrecklich. Ganz schrecklich. Mit ihrem Verdienst hat sie ihre ganze Familie unterstützt. Sie war nur zwei Jahre bei uns. Wir legen großen Wert darauf, dass unser Personal zufrieden ist. Eine hohe Fluktuation verunsichert unsere Gäste, die zu jedem von uns eine enge Bindung aufbauen.«
    Ich starrte immer noch auf das Aquarell, das hinter ihr an der Wand hing. Ein Kind im Rosengarten. Selbstvergessen roch es an einer Blüte, trug einen romantischen Hut und ein Spitzenkleidchen.
    »Ihre Karte, bitte.«
    »Was? Ja. Verzeihen Sie.«
    Ich riss mich vom Anblick des Bildes los und holte meine Kreditkarte heraus. Frau Wittich nahm sie entgegen und ging zu ihrem Schreibtisch.
    »Ihrer Mutter wird es hier bestimmt gefallen. Und Frau Huth ebenso, da bin ich überzeugt. Wie lange wollen die Damen bleiben?«
    Keine Minute länger .
    »Das Wochenende über. Das müsste reichen, um sich einen ersten Eindruck von Ihrer Einrichtung zu machen.«
    Frau Wittich holte ein Lesegerät unter der Schreibtischplatte hervor und steckte meine Karte hinein. Während sie wartete, dass der Beleg ausgedruckt wurde, hätte ich das Büro am liebsten fluchtartig verlassen.
    Das Gerät piepte.
    »Oh.« Stirnrunzelnd musterte Frau Wittich das Display. »Ihre Karte funktioniert nicht. Haben Sie noch eine andere?«
    Ich reichte ihr meine EC-Karte. Mein Konto war hoffnungslos überzogen. Ich hoffte, dass mein Dispo mit dieser Abbuchung nicht den Todesstoß erhielt.
    »Jetzt funktioniert es.«
    Sie reichte mir den Apparat, damit ich die Geheimnummer eintippen konnte. Die nächste halbe Minute war erfüllt von gespanntem Schweigen. Endlich ratterte der erlösende Papierstreifen aus dem Schlitz. Frau Wittich übergab mir meine Kopie mit einem erleichterten Lächeln.
    »Natürlich hätten Sie auch per Rechnung zahlen können.«
    Natürlich nicht. Sonst hättest du das erwähnt.
    »Wo finde ich meine Mutter?«
    »Haus Clemantia, zweiter Stock. Zimmer zweihundertdrei und zweihundertvier. Sie waren ja schon dort. Einfach durch den Garten oder durch Haus Usambara. Ich wünsche Ihrer Frau Mutter und ihrer Begleitung einen angenehmen Aufenthalt. In einer halben Stunde servieren wir den Tee. Für die Terrasse ist es leider ein wenig zu kühl, deshalb bitten wir in den Speisesaal.« Sie begleitete mich zur Tür und reichte mir die Hand. »Es tut mir wirklich, wirklich leid, dass Sie Krystyna nicht mehr sehen konnten.«
    Den ganzen Weg bis ins Haus Clemantia wusste ich nicht, wie ich meine Mutter hier wieder herausholen sollte. Ich konnte ihr unmöglich die Wahrheit sagen. Sie war sensibel, was Todesfälle anging. Ihr ganzer Freundeskreis lag bereits unter der Erde. Tief in meinem Herzen war ich über Frau Huths robuste Gesundheit sogar erleichtert – sie sah nicht aus, als ob sie in den nächsten zwanzig Jahren vorhätte, das Zeitliche zu segnen.
    Als ich aus dem Fahrstuhl stieg, hörte ich schon die Stimmen. Hell und fröhlich, dazwischen ein gackerndes Lachen. Zu meinem größten Erstaunen standen Mutter und Hüthchen im Flur, um sie herum vier oder fünf weitere Damen, die sich ausgiebig mit den Neuankömmlingen beschäftigten. Marie-Luise war nirgendwo zu sehen.
    »Sie sollten vorsichtig mit ihr sein«, sagte ein Schäfchen der kleinen Herde und wies auf die Frau gleich daneben, in der ich die Dame mit der gewaltigen Brille wiedererkannte. »Sie schummelt beim Bridge.«
    »Bridge!«, rief meine Mutter mir mit leuchtenden Augen zu, als sie mich entdeckte. »Sie spielen hier Bridge!«
    »Und Rommé, Canasta, Poker …«, fuhr die Brille vielsagend fort. »Ist das Ihr Sohn?«
    »Ja.« Meine Mutter legte mir eine Hand auf den Arm.
    Ich trat in ihr Apartment ein und

Weitere Kostenlose Bücher