In Flammen
1 Mittwoch, 10. Februar 1999
Noch nachts um halb zwölf war der erste Verhandlungstag im Prozess gegen Patrick O'Riordan das zentrale Thema der Rundfunknachrichten. TodmÜde nach vierzehn Stunden harter Arbeit, hörte sich Siobhan Lavenham den Bericht an, während sie in ihrem Wagen auf schmalen, heckengesäumten Landstraßen nach Sowerbridge zurÜckfuhr.
»...O'Riordan saß lächelnd da, während die Anklage den Fall aufrollte... die grauenvollen Details des Verbrechens, bei dem die dreiundneunzigjährige Lavinia Fanshaw und die Pflegerin, die bei ihr im Haus lebte, brutal niedergemetzelt wurden, bevor der Mörder Mrs. Fanshaw die Ringe von den Fingern riss... Kratzer und Quetschungen im Gesicht des Angeklagten, wahrscheinlich durch einen Kampf mit einer der Frauen verursacht... ein Verbrechen aus Habgier, hinter dem O'Riordans allgemein bekannter Groll gegen die begÜterte Mrs.Fanshaw gesteckt haben dÜrfte... kann keine Überzeugende Auskunft darÜber geben, wo er sich zur Tatzeit aufgehalten hat... SchmuckstÜcke im Haus der Familie O'Riordan sichergestellt, wo der fÜnfunddreißigjährige Ire immer noch mit seinen Eltern zusammen lebt...«
Niedergeschlagen schaltete Siobhan das Radio aus und konzentrierte sich wieder aufs Fahren. »Der Ire...« war das ein bewusster Versuch, rassistische Ressentiments zu schÜren, oder nur ein unbedachtes KÜrzel? Gott, wie sie die Journalisten hasste! Eines Schuldspruchs gewiss, waren sie in der vergangenen Woche wie eine Heuschreckenplage in Sowerbridge eingefallen, um schon im Voraus fÜr ihre Hintergrundreportagen Material zu sammeln. NatÜrlich hatten sie nach Herzenslust im Dreck gestochert, zumal ganz Sowerbridge nichts Eiligeres zu tun gehabt hatte, als ihnen die schlimmsten Geschichten Über die Familie O'Riordan zu erzählen.
Sie dachte zurÜck an den Tag von Patricks Verhaftung, als Bridey sie angefleht hatte, sie nicht im Stich zu lassen. »Sie sind doch eine von uns, Siobhan. Eine Irin reinsten Wassers, auch wenn Sie einen Engländer geheiratet haben. Sie kennen unseren Patrick. Er wÜrde keiner Fliege was zu Leide tun. Glauben Sie im Ernst, dass er Mrs. Fanshaw totprÜgeln wÜrde, wo er niemals die Hand gegen seinen Vater erhoben hat? Und Liam war furchtbar, als er noch zwei gesunde Arme hatte. Mein Gott, was hat er Patrick geprÜgelt, wenn er im Suff seine Wutanfälle kriegte! Aber nicht ein einziges Mal hat Patrick sich gewehrt.«
Es konnte beängstigend sein, an die Gemeinsamkeiten erinnert zu werden, die einen mit anderen verbanden, hatte Siobhan beim Anblick der Menschenmenge gedacht, die sich in finsterem Schweigen draußen vor Brideys Haus versammelt hatte. War denn Irin zu sein ausreichend Grund, sich auf die Seite eines Mannes zu stellen, der verdächtigt wurde, eine kranke alte Frau und die Frau, die sie gepflegt hatte, erschlagen zu haben?
»Patrick gibt zu, dass er Lavinia bestohlen hat«, hatte sie gesagt.
Bridey liefen die Tränen Übers Gesicht. »Aber die Ringe hat er nicht gestohlen«, entgegnete sie. »Nur billiges Gelumpe. War alles nur unechtes Zeug, und er hat's nicht mal gemerkt.«
»Trotzdem war es Diebstahl.«
»Heilige Muttergottes, glauben Sie, ich weiß das nicht?« Sie breitete mit flehender Gebärde die Hände aus. »Mag ja sein, dass er ein Dieb ist, Siobhan, aber niemals ein Mörder.«
Siobhan hatte ihr geglaubt, weil sie ihr glauben wollte. Patrick mochte viele Schwächen haben, aber als aggressiv oder bösartig hatte sie ihn nie gesehen – viel zu lässig, wÜrden viele sagen –, und er schaffte es stets, sie und ihre Kinder mit seinen Geschichten Über Irland, Über Kobolde und verborgene Schätze am Ende des Regenbogens zum Lachen zu bringen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er einen anderen Menschen mit einem Hammer totgeschlagen haben sollte.
Und doch...?
EingehÜllt in die Dunkelheit im Inneren ihres Wagens erinnerte sie sich des Gesprächs, das sie im vergangenen Monat mit einem Inspector der Kriminalpolizei von Hampshire gefÜhrt hatte. Er hatte Überrascht geschienen, dass eine offensichtlich gebildete und wohl situierte junge Frau zu ihm kam, um sich Über die GleichgÜltigkeit der Polizei gegenÜber der Notlage der O'Riordans zu beschweren. Sie fragte sich jetzt, warum sie ihn nicht schon viel frÜher aufgesucht hatte.
War sie wirklich so wenig bereit gewesen, die Wahrheit zu hören?
2 Montag, 8. März 1999 – 23 Uhr 55
Siobhan hatte die orangefarbene Glut am Nachthimmel schon eine ganze Weile
Weitere Kostenlose Bücher