Versunkene Inseln
Irrgärten aus Stein und Sanftheit, in den Brokat, Marmor, Samt, Granit und Schlick. Das Kind, das ich damals war, atmete tief durch, davon überzeugt, daß die Luft aus einer anderen Epoche stammte, die Düfte und Aromen Erinnerungen an vergangene Zeitalter waren. Ich hielt Pauls Hand, hüpfte mit vor Ehrfurcht großen Augen durch die Korridore, und mein helles Lachen perlte durch die helle und schillernde Stadt. Die Hinweisbänder behaupteten, Venedig sei eine schmutzige Stadt gewesen, aber das glaubte ich nicht. Wir tanzten mit den Fischen im Sonnenschein; wir aßen und tranken in Zimmern, in denen noch immer die Musik von anderen Stimmen und anderen Epochen widerhallte. Ich kaufte mir einen pflaumenfarbenen Umhang und einen weißen Kragen, und Paul erstand einen Federhut. Zusammen stolzierten wir durch rekonstruierte Hallen, spielten Doge und Hofdame, bis wir uns gegenseitig in die Arme fielen, nach Luft schnappten und eine stille Ecke suchten, um uns zu lieben. Wir fanden eine Spiegelkammer, und ich sehe noch immer ganz deutlich ein junges Mädchen mit wogendem, kastanienbraunem Haar und einem wohlgeformten, bronzefarbenen Körper, nur gekleidet in einen weiten Umhang und Halskragen. Anmutig tanzte es mit seinem eigenen Spiegelbild, neben der schlanken Pracht, die Paul war, die er heute noch ist. Ich glaube, wir waren bis über beide Ohren verliebt, in uns selbst, in uns beide, in die Kristalle, in Venedig.
Von Venedig aus kehrte ich nach Südafrika zurück, und das Spiegelbild verblaßte.
Jetzt, ganze Zeitalter später, als ich mit Paul in einem altertümlichen Bett lag und auf den Pazifik hinausblickte, focht ich erneut diesen bitteren Kampf aus. Das ist Paul, sagte ich mir, der gleiche Paul, der mit mir in einem Raum aus Kristallen tanzte, der mit mir durch marmorne Torbögen sprang. Wer erinnert sich noch an das vergessene Kind, die Tia, die einst war? Wer liebte jenes Kind? Ja, gewiß: Paul. Aber konnte er auch das lieben, was aus diesem Mädchen geworden war? Ich rief mir die Intensität seiner Erregung ins Gedächtnis zurück, mit der er in mich eingedrungen war, und ich fragte mich, ob er mit der Tia von damals oder der von heute geschlafen hatte. Und wenn mit der Tia von heute, warum? Eine Frage führte zur anderen und die wieder zu einer anderen, und ich wollte ihren hallenden Echos nicht lauschen, verbannte sie in die dunkelsten Verliese meines Geistes und verriegelte die Kerkertüren hinter ihnen. Laß dich nicht von Argwohn infizieren, wies ich mich an. Zweifle nicht. Gib dich einfach hin. Und ich gab mich hin.
16
„Hallo, Kleine. Ein bißchen Zaungast spielen, was?“
Ich drehte mich rasch um, wandte mein Gesicht dem heißen australischen Wüstenwind zu und starrte in der grellen Sonne auf die Gestalt, die hinter mir aufgetaucht war. Die Stimme hatte ganz und gar nicht freundlich geklungen.
„Nein. Eigentlich nicht.“
Die Gestalt gab einen zweifelnden Laut von sich. Wer immer es auch war, er stand direkt vor der untergehenden Sonne, und ich konnte kaum die Konturen erkennen. Die Gestalt schien mich anzustarren, und ich duckte mich unwillkürlich, hob die Arme und legte die Hände auf die Schultern.
„Dann bist du also eine von uns“, stellte die Stimme fest und lachte. „Wunderbar, Kleine, echt stark. Also komm mit. Es bringt nichts, wenn du dich hier braten läßt.“ Die Gestalt bewegte sich, griff meine Tasche und schritt auf den Terminal zu. Ich zögerte einen Augenblick, dann folgte ich und versuchte, mir den Sand aus den Augen zu reiben.
Australien, Land des schwarzen Mannes, der Schatten, Gerüchte und Furcht. Die Heimat der Ausgestoßenen und des Entsetzens. Unsterbliche schilderten flüsternd seine Schrecken, und Kinder nannten
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