Versunkene Inseln
mich an und startete die Rotoren. Ich überlegte kurz, ob ich ihre mitgehörte Unterhaltung ansprechen sollte, entschied mich dagegen, löste die Bremse und schoß aus der Garage hinaus. Paul war schreckensbleich, und den ganzen Weg bis zum Dock hinunter brachte er kein einziges Wort hervor und umklammerte verzweifelt den Haltegriff.
18
Eine Woche nach meiner Ankunft in Luna-City faßte ich den Entschluß, länger zu bleiben, und ich nahm mir eine Wohnung nahe der Bibliothek. Das Apartment war klein. Ich war das beengte Leben auf dem Mond nicht gewohnt, ebensowenig wie die geringe Gravitation, und während der ersten Woche in meiner Wohnung stieß ich bei fast jeder Bewegung gegen irgendwelche Dinge. Die Hauswirtin unten lachte nur, nannte meine blauen Flecken „Erdmale“ und gab mir Salben. Bald hatte ich den Bogen raus, wie man sich bewegte, ohne ständig Unheil anzurichten, wie man durch den zentralen Schaft nach unten schwebte und dabei die Knie beugte, als hätte man festen Boden unter den Füßen. Man sprang eher, als daß man ging, man segelte statt zu laufen. Ich mochte die daraus resultierende Ungezwungenheit. Ich mochte die in die Luft von Luna-City eingefilterte Frische. Ich mochte das Gefühl, sicher und geschützt inmitten einer lebensfeindlichen Öde zu leben. An dem Tag, als mich ein Tourist nach dem Weg fragte, war ich sehr stolz.
Ich erforschte die Stadt. Meine ersten Streifzüge führten durch die gewölbten Korridore der unteren Ebenen nahe meiner Wohnung. Wie sonderbar, droben einen blauen Himmel zu sehen und zu wissen, daß ich mich fünfzig Meter unter der Oberfläche befand und daß der gleiche blaue Himmel auch über den höhergelegenen Ebenen glänzte. Ich wurde mit sorgfältig konstruierten Perspektiven an unerwarteten Stellen konfrontiert: Auf dem Weg zu den Galerien ging ich um eine Ecke und sah mich plötzlich einer weiten Wiese zu meiner Linken gegenüber, die so echt wirkte, daß ich in die Projektion hineinschritt, um mich davon zu überzeugen, es nur mit einem Hologramm zu tun zu haben. „Wie zu Hause“, meinte meine auf dem Mond geborene Hauswirtin, obwohl die Erde nie ihre Heimat gewesen war. Als ich eines Nachts unter den Kunst Sternen dahin wanderte, entdeckte ich eine Anomalie in der dichtbevölkerten Stadt: eine etwa einen Morgen umfassende Unterkunftsfläche, die völlig unbewohnt war, beleuchtet von trüben und matten Glühpunkten in den Wänden. Die Mauern bestanden aus abgebautem Mondgestein – unverputzt, nackt, rauh. Kein Anstrich, keine Tünche, nur schlichter, öder Stein. Doch die leeren Wohnungen waren vollständig ausgestattet mit Ergmöbeln und -wänden, kompletter Küchengerätschaft, selbstprogrammierenden Holoskulpturen, mit allem. Am folgenden Tag sprach ich meine alleswissende Wirtin darauf an, und sie war überrascht über meine Überraschung. „Nicht wie zu Hause“, sagte sie. „Ungemütlich.“ Doch sie erzählte mir von einem überaus populären Komplex in Gagarin, der genauso aussah wie der der leeren Wohnungen hier in Luna, auch wenn Gagarins Steinhäuser durch und durch aus Plaststahl und Plastbeton konstruiert waren. Ich erinnerte mich an Greg Hartfelds Äußerung in der Fähre über die Abneigung der Touristen dem Mond selbst gegenüber, und ich dehnte diese Bemerkung auch auf die Menschen aus, die auf dem Mond geboren waren oder hier lebten. Ich verbrachte viel Zeit in den Aussichtskammern, blickte wie verzaubert auf die öde Kälte der Mondoberfläche hinaus und war dabei so gut wie immer allein. Die Unsterblichen interessierten sich nicht für den Anblick der staubigen und trostlosen Leere außerhalb ihres geschützten und isolierten Gewölbes. Mir kam mehr und mehr zu Bewußtsein, daß es keinen wesentlichen Unterschied gab zwischen der Erde, der ich entflohen war, und der Stadt auf dem Mond, in der ich mich niedergelassen hatte. Vielleicht den Unterschied zwischen einem Garten und einer genauen Miniaturkopie dieses Gartens. Die Bewohner der beiden Gärten waren identisch – bequeme Stasis, Furcht vor dem Neuen oder Fremden und eine Betrachtungsweise der Zukunft, die sie als angenehme, ruhige Wiederholung des Heute und Gestern erachteten. Auch meine Hauswirtin machte da keine Ausnahme. Vor zwanzig Jahren war sie Sandjockey auf dem Mars gewesen. Sie erzählte endlose Geschichten von hydroponischen Gärten unter dicken, blassen Kuppeldächern, die vom Licht einer ebenfalls blassen Sonne eingehüllt waren, von Versorgungsfahrten mit
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