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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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konfrontieren, der ich mich gegenübersah.
    Zum ersten und einzigen Mal war ich nun erleichtert darüber. Ich habe die Kinderabteilung nie wieder besucht.
     
    Ich begleitete Sal überallhin. Ich beobachtete und sah mich um und versuchte, jemanden zu finden, der in einer ähnlichen Lage war wie ich – oder, wenn das nicht möglich war, einen Platz inmitten der Gemeinschaft aus menschlichem Strandgut, an dem ich mein Leben einrichten konnte. Keine Bibliotheken. Keine Laboratorien. Keine Schulen, bis auf die ungenutzten Zimmer in der Kinderabteilung. Ein Friedhof, ja – aber hier starb niemand eines natürlichen Todes. Sie töteten sich selbst – oder gegenseitig, was seltener vorkam. Sie starben an ihren Leiden oder Verunstaltungen, nicht infolge einer Alterung. Es waren Monster, aber unsterbliche Monster, und das Gefühl ihrer Identität und Einheit bildete wie bei den Gesunden einen Schutzwall gegen Veränderungen, Wagnisse und dem Streben nach neuen Dingen. Auch wenn sie aus dem Mainstream der Kultur ausgestoßen waren, die Art ihrer Weltanschauung änderte sich dadurch nicht. Es waren Mißgeburten, ja, aber keine Tiere.
    Ich dagegen schon.
    Die zärtliche und leidenschaftliche Sal hielt mich in ihrem Arm und preßte mein Gesicht an ihre Brust, wenn ich weinte. Sie nahm an, es fiele mir nur schwer, mich an das Leben hier zu gewöhnen, an die Menschen, an meine eigene immerwährende Andersartigkeit. Ich würde damit fertig werden, versicherte sie mir, und ihre Finger fuhren sanft durch mein dichtes Haar. Es käme alles in Ordnung. Ich klammerte mich an sie, bis ich zu zittern aufhörte, bis ich wieder sprechen und ihr sagen konnte, daß ich gehen müsse.
    Sie glaubte mir nicht, und als ich sie schließlich überzeugte, stand sie auf, trat von meinem Bett fort, blieb an der Tür stehen und starrte mich mit blitzenden Augen an.
    „Du kommst zurück“, sagte sie kühl. „Feigling.“
    Feigling, dachte ich. Und nahm die Fähre nach Melbourne, nach Beijing, nach Diablo, zum Pol, zum Mond.
     

17
     
    Als Jenny ankam, waren wir gerade dabei, das Haus dichtzumachen. Paul stand auf dem Balkon und reichte mir die Latten, während ich auf den Simsen der großen Fenster balancierte und die Querriegel sorgfältig vor den heruntergelassenen Rolläden befestigte. Er hatte einen Blick auf die gut zehn Meter unterhalb der Fenster liegenden Felsen geworfen und von weitergehenden Hilfestellungen abgesehen. Als er mir die Latten hinterherschleppte, fragte er mich, ob es nicht einfacher sei, rund ums Haus Abweiser zu installieren. Natürlich war das einfacher, aber es paßte nicht, es war irgendwie nicht richtig. Er wollte wissen, warum nicht. Ich versuchte es ihm zu erklären, ihm die Sache mit dem Rotholz und den Buntglasfenstern darzulegen, mit den Massivmöbeln und der antiquierten Küche; ich versuchte ihm klarzumachen, daß es richtig sei, wenn die Dinge das waren, was sie darstellten. Er begriff es nicht, und schließlich gab ich auf. So fuhr er also geduldig damit fort, mir die Latten zu reichen, und ich verriegelte damit die Fenster. Einmal blieb seine Hand kurz auf meinem Oberschenkel liegen, bevor er nach einer weiteren Latte griff. Wir waren uns ganz nahe, und doch lagen Welten zwischen uns.
    Jenny kam mit dem Hüpf er, parkte ihn und glitt unbekümmert über den Rand der Klippe. Der Tag war warm, die Brise kühl, und sie war diesmal angezogen. Die zarte, geschlitzte Tunika veränderte die Farbe, als sie im Wind flatterte, und sie floß um ihren Körper herum und enthüllte ihr Hüften, als sie uns entgegenschwebte. Ich zupfte am Kragen der undurchsichtigen Überjacke, die ich fast immer trug. Dann besann ich mich eines Besseren, schnitt eine Grimasse und fuhr damit fort, die Querriegel in die Halterungen einzusetzen.
    „Hallo“, rief sie und setzte sanft wie ein Blatt auf dem Balkon auf. „Willst du nicht meinen Lifter benutzen?“
    „Nein, danke“, sagte ich. „Ich bin ohnehin fast fertig.“
    Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie Paul einen kurzen Blick zuwarf, woraufhin er nur amüsiert mit den Achseln zuckte und mir die letzte Latte reichte. Ich beendete meine Arbeit und kletterte zu ihnen auf den Balkon hinunter.
    „Hast du heute morgen den Sonnenaufgang beobachtet?“ fragte ich Jenny.
    Sie erinnerte sich an unser Gespräch vom Abend zuvor und hob kurz die Hand. „Ich war beschäftigt“, sagte sie und lächelte. Paul grinste zurück. „Wir ebenfalls“, erwiderte er.
    „Ach ja? Habt ihr schon so

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