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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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doch meine Blätter sind grün.
    Meine Jugend ist vorüber, und doch bin ich nicht alt.
    Ich sah die Welt, aber ich ward nicht gesehen.
    Mein Faden ist geschnitten und doch nicht gesponnen.
    Und nun, da ich lebe, ist mein Leben zu Ende.
     
    Hast du jemanden geliebt? Wurdest du von jemandem geliebt? Kanntest du deine Eltern, und waren sie bekümmert? Trauerten Freunde um dich? Freute sich irgend jemand über deinen Tod? Machte dein Tod einen Unterschied, oder veränderte er überhaupt nichts? Hast du mit den Händen gewinkt? Oder den Füßen gescharrt? Hast du die Bäume betrachtet oder zum Himmel hinaufgesehen? Hast du vor Angst deine Hose beschmutzt? Hast du dich überhaupt gefürchtet? Was waren deine letzten Worte? Hast du geschrien?
     
    Ich suchte den Tod und fand ihn im Schoß.
    Ich suchte das Leben und sah nur einen Schatten.
    Ich schmeckte die Welt und wußte, sie war mein Grab.
    Und jetzt sterbe ich und habe nie gelebt.
    Mein Glas ist voll, und doch ist es leer.
    Und jetzt, da ich lebe, ist mein Leben zu Ende. {5}
     
    Chidiock Tichborne, wenn ich in fünfzig oder hundert Jahren sterbe, dann bin ich in meiner Welt genauso jung, wie du es in deiner warst. Das kann mich nicht trösten, aber wenn ich an dich denke, fühle ich mich nicht mehr ganz so allein.
     

19
     
    Jenny war mit dem Hüpfer direkt zur Ilium weitergeflogen und hatte Paul und mir den Dockhüpfer überlassen. Ich schloß eine der Lagergaragen auf und stellte meinen Wagen darin ab. Dann flogen wir mit der Maschine zum Schiff und landeten neben dem größten Minarett auf dem Mosaik des Flugdecks. An einer Seite war Tobias’ Hüpfer geparkt, und das Gepäck befand sich noch immer im Innern. Jenny war nirgends zu sehen. Paul zuckte mit den Achseln, holte seine Taschen aus Tobias’ kirschroter Maschine und schritt auf die Liftröhre zu.
    „Wo ist deine Kabine?“ fragte er, als ich ihm folgte.
    „Dritte Ebene. Warum?“
    „Nun, es sieht so aus, als ob Jenny mich nicht in ihrer Kabine unterbringen möchte …“
    „Warum nicht?“ Ich trat in die Röhre und preßte die Zähne zusammen, als sich mir durch den raschen Fall beinahe der Magen umdrehte.
    „Wir hatten einen Streit über Tobias“, sagte er glatt, während wir hinabsanken.
    Unehrlicher Mistkerl, dachte ich zornig. „Nun, wenn die Kabine euch beiden zugewiesen ist, dann wirst du dort unterkommen müssen. Es sei denn, du möchtest mit Greville eine andere Vereinbarung treffen. Ich bin sicher, er findet etwas Passendes für dich.“ In Höhe der dritten Ebene verließ ich den Schacht. „Wir treffen uns in einer halben Stunde auf der Brücke. Die übliche Einweisungsrede vor dem Auslaufen. Man erwartet von uns, daß wir sie uns anhören.“
    Paul sah unglücklich aus, sank tiefer und war dann nicht mehr zu sehen. Ich eilte zu meiner Kabine, noch immer wütend über die Lüge.
    Meine Unterkunft war steril und leer. Sie wartete darauf, daß ich sie zum Leben erweckte, die Kraftfelder justierte und Bett und Tisch und Stühle programmierte. Statt dessen schaltete ich alle Ergfelder ab und spannte dann meine Hängematte an den beiden Dübeln auf, die ich schon früher an den Wänden befestigt hatte. Ich entfernte die Abdeckung von den Bücherregalen, holte den Tisch aus dem Abstellraum, baute ihn zusammen und stellt dann den Klappstuhl auf. Eine helle, orangefarbene Decke, auf die Hängematte geworfen, ein kleiner Teppich auf dem Boden – und ich hielt meine Kabine für gemütlich genug, um wieder darin zu wohnen. Ich duschte rasch, stieg in einen leichten Haftanzug, band mir das Haar im Nacken zusammen und machte mich, da die halbe Stunde um war, auf den Weg zur Brücke.
    Greville und Harkness berieten sich vor der großen Holokarte des Nordpazifik. Jenny lehnte neben Tobias und starrte bekümmert aus dem großen Fenster. Sie wandten sich beide um und sahen mich an, als ich eintrat, dann drehte sich Jenny wieder zum Fenster. Paul kauerte an der Wand ihnen gegenüber. Er wollte auf mich zugehen, doch ich wandte ihm den Rücken zu und begrüßte Benito, den buckligen Chefingenieur.
    „Hallo, Scheusal“, sagte ich.
    „Hallo, Scheusal“, gab er zurück und sah mich finster an. Ich nahm neben ihm Platz, und wir teilten ein geselliges, verächtliches Schweigen. Ich konnte sehen, wie sich Paul an die Wand zurücklehnte; sein Gesicht zeigte einen sonderbaren Ausdruck. Natürlich war er Benito bereits am Tag zuvor begegnet, doch der Anblick des Ingenieurs war immer eine Art Schock, selbst

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