Versunkene Inseln
früh begonnen, das Haus zu verrammeln?“
„Das eigentlich nicht.“ Paul sammelte die Einfassungsschnallen der Querlatten zusammen. „Wo soll ich die verstauen, Tia?“
„Unter der Treppe, wenn du reinkommst, rechts“, sagte ich. „Die Tür ist offen.“ Er lud sich die Arme voll und verschwand im Haus.
„Habt ihr eure Sachen gepackt?“ fragte ich Jenny.
Sie wich meinem Blick aus. „Ja, ich muß das ganze Zeug nur noch einladen. Ich habe den Hüpf er genommen, weil ich dachte, damit sei es einfacher.“
„Nun, wir müssen in einer Stunde am Dock sein. Du beginnst also besser, eure Sachen in den Hüpfer zu schaffen.“ Sie nickte und ging ins Haus. Ich hörte, wie sie mit Paul sprach, vernahm dann das weiche Flüstern des Lifters, als sie die Treppe hinaufschwebte. Kurz darauf folgte ein zweites sanftes Wispern, als Paul ihr folgte.
Bis auf einige persönliche Dinge, die ich hier hatte, waren meine Sachen bereits an Bord der Ilium. Nachdem ich die Küchengeräte ausgeschaltet und den Pflanzenachtgeber auf Automatik justiert hatte, stieg ich die Treppe zu meinem Schlafzimmer hinauf. Ich würde nur ein paar Augenblicke benötigen, um den Rest zusammenzupacken. Die Stimmen meiner Gäste tropften zu mir herunter, als ich auf dem Treppenabsatz vor der Tür stehenblieb.
„Du bist noch nicht fertig, Paul?“
„Nein, aber es dauert nicht lange.“
„Ich dachte, du wolltest deine Sachen schon gestern abend packen“, sagte Jenny. Ich konnte hören, wie Kleidungsstücke aus dem Schrank genommen und aufs Bett geworfen wurden.
„Ich hatte keine Zeit dazu.“
„Ach? Die ganze Nacht die Sterne bewundert?“
„Das nicht gerade.“
„Meine Güte, womit kann man sich hier denn sonst die Zeit vertreiben? Es ist ein Wunder, daß Tia nicht schon längst an Langeweile gestorben ist. Die einzige Abwechslung hier ist die von Ebbe und Flut. Also?“
„Was also?“ Ein eigensinniger, trotziger Tonfall. Das Echo einer Stimme, die ich vor fünfzig Jahren vernommen hatte.
„Welcher aufregenden Beschäftigung hast du dich denn letzte Nacht gewidmet?“
„Ich habe mit Tia gebumst.“
Eine lange Pause. Es war nicht der Ausdruck, den ich benutzt hätte, sagte ich mir traurig. Ich war wie erstarrt.
„Du … mit Tia?“ brachte Jenny schließlich hervor.
„Klar. Du hattest ja ein Schäferstündchen mit Tobias …“
„Du bist mit dieser … dieser Mißgeburt ins Bett gegangen?“
„Hör auf, Jenny, sei vernünftig …“
„Vernünftig. Sie ist nicht einmal ein menschliches Wesen! Du bist … du bist fehlgeleitet, Paul. Du brauchst ärztliche Hilfe.“ Ihre Stimme vibrierte.
„Jenny …“
„Faß mich nicht an!“ schrie sie, und ich stürzte in mein Schlafzimmer und warf die Tür zu. Mit aufeinandergepreßten Zähnen und geballten Fäusten verharrte ich. Kein menschliches Wesen? Ich? Tia? Stiche im Rücken, Falten im Gesicht, gefesselt an die Schmirgelwand der Zeit – verdammt und verflucht, ich war menschlicher als jeder einzelne von ihnen. Ich stammte in direkter evolutionärer Linie von den Affen ab, von Donne und Heisenberg, von Petrukis und Penderewcki, von Li T’ai-po und Lippen-cott, dem Vater der Immortalität, der die Behandlungen zu spät entwickelte, um sich selbst noch unsterblich zu machen. Und sie? Lippencotts Kinder? Übermenschen vielleicht, aber nicht menschlich. Nein, ganz bestimmt nicht. Daran konnte gar kein Zweifel bestehen.
Und wie ich sie um diese Nichtmenschlichkeit beneidete.
Oben war es still. Ich öffnete das Fenster, atmete die salzige Luft tief ein, beruhigte mich und begann mit dem Packen. Ich hörte, wie Paul mit dem Lifter Gepäck vom oberen Schlafzimmerbalkon zum Hüpf er transportierte, und kurz darauf gesellte sich Jenny zu ihm. Sie sprachen kein Wort miteinander, und als ich annahm, sie seien fertig, hängte ich mir die Tasche über die Schulter und polterte die Treppe hinauf.
Jenny war bereits aufgebrochen. Der Hüpf er glitt eilig die Straße hinunter, eingehüllt in ein Sicherheitsnetz aus Kraftfeldern. Ich verstaute die Tasche im Kofferraum meines Wagens.
„Ich schätze, ich fahre mit dir runter“, sagte Paul und lächelte. Sein Gesicht war entspannt, sein Körper steif.
„In Ordnung. Hat Jenny deine Sachen mitgenommen?“
„Ja.“ Er kletterte in den Beifahrersitz und legte sorgfältig die Sicherheitsgurte an. Dann klammerte er sich am Haltegriff fest und bereitete sich darauf vor, dem Tod zu trotzen. Ich schob mich in den Fahrersitz, schnallte
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