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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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erwiderte sein Lächeln. „Ich kann vor Müdigkeit keinen klaren Gedanken mehr fassen. Wo soll ich mich hinlegen?“
    „Zu mir vielleicht? Ich würde gern mit dir schlafen, kleiner Spatz. Wenn du es auch möchtest.“
    Ich dachte kurz an meine leichte Unsicherheit ihm gegenüber, an seine Größe, an seinen Verstand. Ich dachte kurz an Paul und die Mondbibliothek. Und ich nickte und schmiegte mich an ihn.
    Es war herrlich.
     

22
     
    Die Ilium glitt sanft durch das stille und unbewegte Meer, eingetaucht in das Licht von auf- und untergehenden Sonnen, durch phosphoreszierende Wasser, auf denen glühende Lichtschimmer schwammen. Die verschwommene Linie des Festlands hinter uns löste sich auf, das Krächzen der Möwen, die über den Minaretten segelten, wurden seltener, und wir vertrauten uns der feuchten und glitzernden Umarmung des Ozeans an, wie schon so viele vor uns. Wir ritten auf seiner gischtenden Haut, nach Westen und dann nach Süden.
    Greville plante und skizzierte die Tauchgänge, gab immer wieder neue Hinweise und Erläuterungen und unternahm die größten Anstrengungen, zumindest einmal am Tag mit jedem von uns zu plaudern und ihm mit diversen Erklärungen auf den Wecker zu fallen. Harkness verbrachte wie gewöhnlich die meiste Zeit auf der Brücke, schmückte seinen Körper mit dem militärischen Zierat, den er für seine Position als angemessen empfand, oder spielte Komplexschach mit der hübschen, zarten Hart. Li schuf in der Küche gewagte kulinarische Kompositionen und verspeiste sie selbst – wenn er nicht mit Lonnie schlief oder Dienst auf der Brücke hatte. Lonnie, der Lis korpulente Masse nichts auszumachen schien, die nachts über ihr arbeitete, beschäftigte sich mit ihrem Trikreierer und formte neue Minarette, indem sie leicht die Fingerspitzen bewegte oder die dünnen Augenbrauen ein wenig hob. Tobias verbrachte seine Zeit entweder im Maschinenraum oder in der Tauchkammer, und Jenny war immer in seiner Nähe. Benito blieb in dem summenden und brummenden Kloster seiner Generatoren. Paul hatte um die Zuweisung einer anderen Unterkunft gebeten, und zehn Minuten, nachdem er aus Jennys Kabine ausgezogen war, zog Tobias ein. Ein- oder zweimal nahm ich Paul mit in den Generatorenraum, doch der finstere Blick und die Häßlichkeit von Benito schreckten ihn ab, und er entschuldigte sich rasch, verließ uns und durchwanderte den komplexen Irrgarten des Schiffes.
    Eine neblige, verschwommene Reise. Das Land fiel hinter uns zurück und wurde verschluckt von den graugrünen Wogen. Jene ersten fünf Tage auf See waren wie ein Traum, zur einen Hälfte real, zur anderen unwirklich. Doch wie in jedem Traum gab es auch in diesem Fall kleine Spannungspunkte, Schatten von Beklemmungen, dünne, feine, aber sehr feste Stolperdrahte, die fest gespannt waren durch die ganze Struktur des Tagesablaufs und die schmerzten, wenn man gegen sie stieß. Jenny und Tobias blieben ganz unter sich und verließen den Raum, wenn ich ihn betrat. Paul sagte mir, bei ihm verhielten sie sich ebenso. Benito war noch verdrießlicher als sonst, und Greville tauchte uns in mehr als nur sein gewöhnliches Quantum an guter Laune. Die anderen waren sehr wortkarg und gingen mir oder Paul oder uns beiden aus dem Weg. Ich spürte eine Verstärkung der ablehnenden Reaktionen, auf die ich üblicherweise stieß. Ich ahnte, daß der Schock, den Jenny vor Tagen und viele Meilen entfernt an der Küste erlitten hatte, auch die anderen Passagiere plagte. Ich verdrängte diesen Gedanken in einen entlegenen Winkel meines Bewußtseins, wob ihn in einen Kokon aus Gleichgültigkeit, vergrub ihn unter unvermuteter Fröhlichkeit.
    Es kümmerte mich nicht, daß ich, um mit Paul zusammen zu sein, einen Teil der Wirklichkeit ignorierte. Ich betäubte das Wissen, daß er ein Kind war, oberflächlich, ein Narr. Ein Unsterblicher und ein eitler und selbstgefälliger Unsterblicher noch dazu. Ja, all das. Aber er war auch der Mann, der mit mir in der Hängematte schaukelte oder mich in seinem Bett wiegte, der meine vernachlässigten Brüste mit seinen Küssen wieder zum Leben erweckte. Ich wußte nicht, warum er all dies tat, und ich sorgte mich nicht wegen dieser mangelnden Kenntnis. Ich wollte es gar nicht wissen. Es reichte, daß er mich in den Armen hielt und mit mir sprach und mich morgens mit zärtlichen Worten und einem plötzlichen, erregten Eindringen in mich weckte.
    Und was die anderen anging: Ich ignorierte sie. Das Leben hatte mir nur sehr wenig

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