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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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bis zur Grundfeste meines Ichs hinabtropfte, waren meine Probleme völlig bedeutungslos und hörten einfach auf zu existieren. Ich vergaß zu atmen und berührte mit den Fingerspitzen ehrfürchtig und demütig das Fenster. In den Aussichtskammern von Luna mit ihren etikettierten Perspektiven und beengtem Komfort hatte ich nichts gesehen, das auch nur annähernd so beeindruckend war.
    „Diese Leere da draußen ist wie eine Hexe“, sagte Hartfeld schließlich.
    „Aber wunderschön“, entgegnete ich.
    „Meinen Sie?“ fragte er, und seine Stimme klang überaus interessiert. Der Bann des Mondes brach. „Nun, das werden wir morgen sehen, nicht wahr? Sie sind sicher hungrig. Nehmen Sie ein Bad und wechseln Sie die Kleidung – sind Sie immer angezogen? Ach was, ist ja auch egal. Wir gehen weg, essen eine größere Kleinigkeit und treffen noch ein paar verschrobene Typen, die genauso sind wie ich. Wir setzen uns alle zusammen; vielleicht mögen Sie sie, vielleicht auch nicht. Da drüben ist das Bad. Mögen Sie eine Dusche mit Wasser? In Ordnung, Sie haben vier heiße Gallonen und zehn kalte – aber das wissen Sie ja längst, ich bin wirklich blöd. Tasten Sie Ihre Kennummer ein; der Servo wird sich einschälten, wenn Ihnen Wasser zugeteilt ist. Wir haben hier oben eine ziemlich scharfe Kontrolle, nicht so wie auf der guten alten Erde, was? Alles klar? Bestens!“
    Der Abend stand ganz im Zeichen von Greg Hartfelds gediegener, überschwenglicher Art; er war verwirrend und bot pausenlos etwas Neues. Wir speisten in einem kleinen, von intensiven Wohlgerüchen durchzogenem Restaurant, in dem an einem Ecktisch vier Leute auf uns warteten. „Andere komische Typen“, nannte Greg sie, aber keiner von ihnen war so herausragend und überwältigend wie er. Die Gespräche waren wie glänzende Juwele in einem Kasten voller Kohlen: Sie bestanden nicht aus den für die Unsterblichen sonst typischen langweiligen Scherzen und geliehenen Meinungen, sondern aus Argumenten und Gegenargumenten, aus fundierten Bemerkungen und Analysen. Für diese Leute schien das Leben ein Labyrinth aus unendlicher Faszination zu sein. Und sie steckten mich an mit dieser Faszination: Mir schwindelte, und ich schwamm wie verzaubert in ihrem Sog. Nach dem Essen gingen wir, ohne die Diskussion zu unterbrechen, zu irgend jemandem in die Wohnung, die ebenfalls am Rande der Blase lag. Mit der rauhen und öden Mondlandschaft als Hintergrund sprach die dunkelhäutige Najla über Astrophysik und die Geschichte des minoischen Reiches. Nur ein paar Augenblicke, nachdem er mit Kai-Yu Kommunikationstechniken erörtert hatte, diskutierte Greg mit der kleinen Susan über Lebenserhaltungssysteme. Jaime sang mit weicher Stimme und kommentierte leise Najlas Theorien. Als wir einmal über Kunst sprachen, warf ich schüchtern ein Zitat ein, auf das ich während meiner Zeit in der Bibliothek gestoßen war, und Greg deckte mich mit seinen riesigen Armen zu und drückte mich fest an sich. Gleichermaßen verlegen und erfreut zog ich mich in mein Schweigen zurück. Mein Gott, wie intensiv diese Leute lebten! Wenn ich die Augen schloß, das Zimmer und den Mond aus meinen Gedanken verbannte und dem Durcheinander und Tumult ihrer Unterhaltungen lauschte, dann konnte ich mir vorstellen, daß ich einen Sprung in die Vergangenheit gemacht hatte. In eine Zeit, in der Ideen noch neu waren und Konzeptionen begeistern konnten, in der gewisse Dinge noch wichtig waren – in der die Zeit noch eine Rolle spielte. Jemand ließ noch mehr Dope herumgehen, ein anderer sprach über hydroponische Anlagen. Diese Leute, dachte ich plötzlich, unterschieden sich so sehr vom Mainstream der Immortalitätskultur wie die verzweifelten Mißgeburten in Australien. Doch als ich versuchte, diesen Gedanken weiterzuverfolgen, entglitt er mir. Ich gähnte.
    Als wir schließlich gingen, als sich langsam der diffuse Schimmer der programmierten Dämmerung in den Nachthimmel am Kuppeldach stahl, war ich noch immer so stoned und müde, daß ich mit der geringen Gravitation nicht klarkam. Greg legte den Arm um mich, damit ich nicht vom Gleitband schwankte.
    „Wir haben dich ein bißchen überfordert, hm?“ sagte er, als wir seine Wohnung betraten.
    „Ja“, gab ich zu. „Vielleicht war ich zu high, um das zu bemerken. – Greg? Bist du jemals in Australien gewesen?“
    Er hielt meine Schultern und lächelte zu mir herunter. „Wie kommst du denn darauf, komischer kleiner Spatz?“
    „Ich weiß nicht.“ Ich

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