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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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an dem Wissenschaftlichen Leiter der Expedition vorbei, um seine eigenen Richtungsangaben in den Computer einzugeben. Greville beherrscht sich und gibt bekannt, daß dies nach seiner wohlüberlegten Auffassung ein schwerwiegender Fehler sei, für den er von Rechts wegen jede Verantwortung ablehne. Harkness reagiert darauf mit schweigender Verachtung. Greville stolziert auf die Tür zu, doch noch bevor er sie erreicht, ist seine Selbstbeherrschung erschöpft. Er knallt sie wütend hinter sich zu und geht in seine Kabine, wo er die nächste Stunde damit verbringt, Entwürfe von Abtretungserklärungen zu schreiben und Papierblätter in kleine Fetzen zu reißen. Oben auf der Brücke kichern Harkness und Hart. Greville läßt das Abendessen nicht aus.
     
    Der hübsche Tobias kocht. Erzürnt oder beleidigt dampft und glüht er durchs Schiff und strahlt dabei böse Schwärze aus. Eine Wut, die geeignet ist, verheerendes Unheil anzurichten, katastrophales Verderben.
    Ich gehe durch einen Korridor, voll beladen mit diversen Einzelteilen meines Naßanzugs, und Tobias kommt mir aus der Tauchkammer entgegen, ein Manometer in der Hand. Ich weiche aus, doch er lehnt sich auf die Seite und blockiert meinen weiteren Weg. Seine Augen brennen.
    „Ti-a“, sagte er und macht aus meinem Namen zwei einzelne Silben. „Hast du Kinder, Ti-a?“
    „Hau ab“, brumme ich und versuche, mich an ihm vorbeizudrängen.
    „Keine Kinder? Keine kleinen Kinder?“
    „Was soll das?“ gebe ich ärgerlich zurück und stoße ihn zur Seite. Sein Flüstern folgt mir durch den Korridor: „Kinder, Kinder, Kinder.“ Bis ich durch eine Fallröhre stürze, meine Sachen im Spind verstaue und auf mein Minarett fliehe. Doch ich werde ihm dies nicht nachtragen: Ich glaube nicht, daß er weiß, wie sehr diese Frage schmerzt.
    Ein anderes Mal hebe ich meinen Blick von einem Ausstellungsstück im Schiffsmuseum und stelle fest, daß Tobias hinter mir steht. Als ich mich umdrehe, wispert er: „Ich bin dreiundzwanzig, Ti-a. Ich bin dreiundzwanzig.“ Dann gibt er seinem Schweber einen Stoß und saust durch die Passage fort. Ich zucke mit den Achseln und wende mich wieder der Vitrine zu. Das ist Tobias: Er steht immer dicht am Rand des Abgrunds, in dem das Chaos seines Emotionslabyrinths auf ihn lauert. Warum? Weiß Jenny darüber Bescheid? Aber das spielt eigentlich auch keine Rolle. Tobias kocht.
     
    Jenny ist ebenfalls von tiefem Zorn erfüllt; sie ist völlig durcheinander und auf der Suche nach Rationalität. Sie versucht, einen nicht faßbaren Faktor zu isolieren, und sie erschöpft ihre Wut in falschen Interpretationen, mit einer oftmals vergeblichen Jagd nach Einsicht und Begreifen. Jennys Qual wird falsch verstanden, und sie verhindert den Erfolg ihrer Suche selbst, da sie es ablehnt, das Offensichtliche zu akzeptieren. Jedenfalls ist das meine Meinung. Lonnie hält sie für aufdringlich, Benito für töricht und Paul für dumm.
    Trotz des Sonnenscheins wirkt sie blasser als noch vor einer Woche an der Küste. Sie scheint nervöser zu sein, in sich selbst versunken. Die Blicke, die sie Paul zuwirft, sind nicht mehr haßerfüllt, sondern drücken nun Verwirrung aus, fast Verständnis und Mitleid. Doch sie weicht mir noch immer aus, trotz unseres Gesprächs auf dem von der Sonne beschienenen Minarett. Ich bin nicht sicher, ob ich Jenny verstehe; ich bin sicher, daß ich sie mag. Doch Schönheit und Zerfall vertragen sich nicht.
     
    Während eines nächtlichen Spaziergangs komme ich an Lis Kabine vorbei und vernehme Musik. Ich will eigentlich nicht lauschen, aber ich höre dennoch, wie unser fetter und alberner Koch zur Begleitung eines Saiteninstruments singt, und was er singt ist sanft und unkompliziert und unsagbar traurig. Ich bin davon tief bewegt und klopfe leise an die Kabinentür. Li legt das Instrument fort. Lonnie und Hart blicken überrascht auf, und alle geben nervöse kichernde Bemerkungen von sich. Ich gehe sofort wieder, und kurz darauf ertönen die gezupften Klänge des Instruments erneut.
     
    Und Benito, für den ich nun Luft bin, treffe ich überhaupt nicht.
     

30
     
    „Paul?“
    Er befand sich nicht in der Tauchkammer, wo ich ihn jetzt hätte antreffen sollen, auch nicht im Museum, wo er sich oft aufhielt. Erneut blickte ich mich in der Halle suchend um, stemmte die Arme in die Hüften und wandte den Instrumentenanzeigen den Rücken zu. Wir sollten in Kürze unser Zielgebiet über den Inseln erreichen, und ich hatte Paul gebeten,

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