Versunkene Inseln
ist nur eine Frage der Übung.“
„Aber Sie können es nicht kontrollieren, oder?“
„Das Stadium der Bewußtheit schon. Aber was in meinem Inneren vorgeht, kann ich nicht beeinflussen, nicht mehr als Sie. Ich kann nur beobachten.“ Und soviel entsprach zumindest der Wahrheit.
Sie zupfte geistesabwesend an ihrem bernsteinfarbenen Haar, und ihre Mundwinkel zogen sich ein wenig zusammen, als sie ihre Gedanken sammelte. „Wie Sie wissen, hat Dr. Evert zehn Jahre lang versucht, das fertigzubringen, was Sie bewerkstelligen.“ Ich nickte. „Es gelang ihm einfach nicht. Er schaffte es bis zu den Vorstadien, doch die letzte Hürde konnte er nicht überwinden.“
„Vielleicht machen es die Immortalitätsbehandlungen unmöglich“, gab ich boshaft zurück. „Vielleicht muß man sterblich sein, um in diesen inneren Kosmos tauchen zu können.“
„Unsinn“, erwiderte sie barsch. Sie erhob sich, glättete eine Falte in ihrer weichen Tunika, sagte mir, ich könne in einer Stunde gehen, und verließ das Zimmer – sie hatte die übliche Frage gestellt und die gewohnte Antwort erhalten. Es muß ihr sehr zu schaffen gemacht haben, immer wieder mit einem Problem konfrontiert zu werden, das sie nicht lösen konnte. Eine Tiefe in mir, ein entlegener Winkel, ein Bruchstück, das sie nicht sondieren und analysieren konnte mit ihren Maschinen, ihren Aufzeichnungen, ihrem Wissen. Es freute mich, daß sie nicht in der Lage waren, meine Psyche auszuloten und meine Pein zu entdecken. Ich kletterte aus dem Bett, zog die Vorhänge von den Fenstern und blickte auf die draußen im Garten blühenden Pflanzen.
„Nur eine Frage der Übung“, hatte ich ihr erklärt. Als ob ich Bescheid wüßte. Es war vor vielen Jahrzehnten, als ich zum erstenmal in meine innere Welt hineinfiel, damals im Orbit einer wütend lodernden Sonne. Und ich verstand diesen Vorgang kaum besser als sie.
11
Vor fünfzig Jahren hatte ich mit einem nachhaltigen Schock eine andere Klinik verlassen und vergeblich versucht, festen Boden unter den Füßen zu finden.
Es dauert eine Weile, bis bedeutende Erkenntnisse verarbeitet sind, bis man ihnen den richtigen Bewußtheitsgrad zugeordnet hat und sie in der Seele fest verankert sind. Ich stolperte aus der Klinik hinaus in den grellen und heißen Sonnenschein Südafrikas und begriff nicht ganz, was mit mir geschehen war, was man mir erklärt hatte. Sterblichkeit war unfaßbar, und als ein Kind meiner Zeit fiel es mir schwer, alle kulturellen Maximen zu vergessen und die unglaubliche Wahrheit zu akzeptieren. An Bord des Kreuzers, nach Norden unterwegs, ergoß sich die ganze Flutwelle des Verstehens über mich. Und während das unförmige Luftboot über Grasland und Savannen rumpelte, über Berge und Seen glitt, kauerte ich einsam in einer Ecke und zitterte. Als ich in Istanbul vom Schiff stolperte, ließ ich nicht nur den Kreuzer hinter mir, sondern auch die Art von Kindheit und Jugend, die mir die Welt zu bieten hatte.
Istanbul ist eine ruhige Stadt. Die Restauration ist vollständig, umfaßt aber nur einen sehr kleinen Teil der ehemals so großen Stadt: eine Moschee, einige mittelalterliche Paläste, ein paar mit Kopfsteinen gepflasterte Straßen, die Brücke über den Bosporus. Duftende Pflanzen wachsen auf den Mauern und Gebäudesimsen, und ihre großen Blütentrauben fließen über die Steine hinab. Dann und wann weiche Musik aus fernen, geschlossenen, kühlen Räumen. Kleine Cafes mit ein oder zwei stummen und wartenden Gästen. Eine heiße, strahlende Sonne.
Stadt der Träume. Stadt der Stille. Stadt des verschwenderischen Sonnenscheins. Eine Stadt mit tausend Betten, und in jedem liegt ein Unsterblicher
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