Versunkene Inseln
mich unter die großen Apparate, und ich sah zu, wie sie mir die Plastikvenen in den Nacken und den rechten Arm stachen und sie dann mit dem Transfusioner verbanden. Eine Chirurgin mit sterilisiertem Umhang und Mundschutz beugte sich über mich, und eine am Anzeigepult sitzende Person vermeldete immer wieder: „Alles normal.“ Oder irgend etwas in dieser Art – mein Hörsinn war nun sehr beeinträchtigt. Ich wandte den Blick von der Chirurgin ab und starrte hinauf zur gewölbten Zuschauertribüne, die voll besetzt war mit Studenten, Doktoren und anderen neugierigen Nasen.
„Alles meinetwegen“, dachte ich. „Eine ganze verdammte medizinische Fachabteilung, alles meinetwegen.“
Ich muß es laut ausgesprochen haben, denn die Krankenschwester beugte sich zu meinem Gesicht herab und sagte: „Tsts, wir sind also noch wach.“ Und betätigte erneut ihren Sensor. In diesem Augenblick sah ich, wie die Ärztin mit der Hand ein Zeichen gab. Die großen Apparate erwachten summend zum Leben, und ich war dankbar, daß mir die Sinne schwanden.
Ich erwachte in meinem Zimmer, fünf Stunden später. Die Fenster waren abgedunkelt, das Licht war ausgeschaltet, und die Maschinen, an die ich angeschlossen war, murmelten mit leise summenden Stimmen. Ich lag ganz still und spürte, wie sich die letzten Schleier der Müdigkeit auflösten und das neue Blut durch meine Arterien spülte. Meine Brust schmerzte infolge der Knochenmarkfilterung, mein Bauch von der Magenreinigung, doch kurz darauf machten mir diese unbedeutenden Schmerzen nichts mehr aus, und ich tastete mich zu meinen wirklichen Eingeweiden in die komplizierte Anordnung von Röhren und Leitungen vor. Wie sauber und rein sich alles anfühlte – all die kleinen summenden und gurgelnden und pochenden und klopfenden Apparaturen in meinem Fleisch. Sie hatten diesmal meine Lungen gespült, und ich spürte, wie die Luft frisch durch sie hindurchwehte, wie die kleinen, rosafarbenen Alveolen den Sauerstoff aufnahmen und mein neues Blut damit sättigten, das flüsternd durch die Kanäle und Leitungen rauschte, das Prickeln der Zellen in den verschiedenen Hautschichten, das Öffnen und Schließen kleiner Ablaßhähne, Ventile, die kurze Ströme in Magen und Organe und Blutkreislauf ergießen ließen, weiches, rhythmisches Rangieren und Pulsieren, die straffen Muskeln und Bänder, die festen Knochen. Ich tauchte tief hinein, glitt durch Kapillargefäße, schwebte durch die Höhlen von Lunge und Magen, hüllte mich kurz in die Wärme meiner Gebärmutter, ignorierte wie gewöhnlich das unangenehme Fehlen der Eileiter, genoß und schwelgte in dem Gefühl von Frische und Leben, von neuem davon überzeugt, daß ich doch ewig leben würde, jung, gesund, mit nie nachlassender Energie. Dann schlug ich die Augen auf und starrte in den Reflektor, denn sie auf mein Drängen hin an der Decke installiert hatten. Keine Veränderung. Ich erblickte die gleiche vom Alter gezeichnete, verwelkte und runzlige Frau, erlebte die gleiche Erkenntnis, daß all das Reparieren und Durchspülen nur dazu diente, den unvermeidlichen Tod ein wenig hinauszuschieben. Ergrauendes Haar, das sich wie ein Schleier um das Gesicht wand, Falten in Mund- und Augenwinkeln, dahinkriechende Schläuche, Elektroden und Kabel, die zu den unförmigen Maschinen jenseits der Wände führten. Das bin ich, genau. Ich musterte das Bild über mir, kämpfte die Bitterkeit nieder und wartete, bis die von mir verlangte Stunde postoperativer Privatsphäre vorüber war. Dann stürmten die Ärzte und Krankenschwestern und Chirurgen und Techniker und Assistenten und Studenten und
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