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Versunkene Staedte

Versunkene Staedte

Titel: Versunkene Staedte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Bacigalupi
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und starrte über die freie Fläche hinweg.
    Auf den Feldern wäre sie völlig ungeschützt. Sobald sie den Dschungel verließ, würde sie weithin sichtbar sein. Sie suchte nach irgendetwas, das ihr Deckung bieten und ihr helfen könnte, sich unbemerkt ins Dorf zu schleichen, aber es gab nichts mehr.
    Bist du ein Feigling oder nicht?
    Eine halbe Stunde lang sah sie zu, wie Schwärme von Raben und Geiern über dem Dorf kreisten, ohne dass sich sonst irgendetwas regte. Dann schlug sie alle Vorsicht in den Wind. Sie musste wissen, was mit Mouse geschehen war, und das konnte sie nur im Dorf herausfinden.
    Sie lief über die Felder und hielt nach Anzeichen für einen Hinterhalt Ausschau. Asche raschelte unter ihren Füßen wie Blätter. Insekten zirpten in der feuchten Luft, aber sonst war nichts zu hören.
    Auf halbem Weg über das Feld fand sie Doktor Mahfouz.
    Er lag mit dem Gesicht nach unten in einer Schlammpfütze, die mit einer schwarzen Ascheschicht überzogen war. Der Schlamm blieb an Mahlias Füßen und Beinen kleben und färbte sie schwarz. Sie kauerte sich nieder und rollte den Arzt auf den Rücken. Seine Brille war zerbrochen. Ihr wurde klar, dass der Schlamm auch mit seinem Blut vermischt war. Bei den Parzen. Was für ein Elend! Sie wischte die schlammverschmierten Brillengläser ab.
    Er war ihnen direkt in die Arme gelaufen. Als wäre er ein Soldat der Gottesarmee mit einem Amulett um den Hals, das ihn vor Kugeln schützen sollte.
    Â» Wie konnten Sie nur so dumm sein? « , fragte sie und schämte sich dann, weil sie es laut ausgesprochen hatte. Er war zwar dumm gewesen, aber dennoch ein freundlicher Mensch. Er hatte mehr Respekt verdient. Auf jeden Fall nicht das hier. Mit dem Gesicht nach unten im Schlamm zu sterben.
    Mahlia wollte ihm die Brille wieder aufsetzen, aber sie hielt nicht mehr, und es hatte ohnehin keinen Zweck. Mit der Brille in der Hand kauerte sie neben dem Leichnam des Arztes und wusste nicht weiter.
    Doktor Mahfouz war freundlich und mitfühlend gewesen. Er hatte sich für sie eingesetzt, als niemand sonst es getan hatte. Und jetzt war er genauso tot wie all die anderen, die sie angespuckt und sie ein Chinesenbalg genannt hatten.
    Was sollte sie jetzt machen? Sollte sie ein Gebet sprechen oder etwas in der Art?
    Wenn es um den Tod ging, folgte jeder seinen eigenen Sitten und Gebräuchen, aber der Arzt war weder ein Anhänger der Hochwasserchristen noch des Plünderergottes gewesen. Er hatte einen kleinen Gebetsteppich gehabt, den er zu verschiedenen Tageszeiten hervorgeholt hatte. Und manchmal hatte er in einem Buch gelesen, mit Schriftzeichen, die Mahlia nicht hatte entziffern können und die er Arabisch genannt hatte. Sie hatte keine Ahnung, wie die Araber ihre Toten bestatteten.
    Vielleicht verbrannten sie sie. Ihr Vater hatte gesagt, dass die Chinesen das so machten. Vielleicht wäre das also das Richtige. Sie packte den Arzt unter den Achseln und begann, keuchend vor Anstrengung, zu ziehen. Seine Leiche war erstaunlich schwer. Wie ein Sack voll Blei, der ihr bei jeder Bewegung Widerstand entgegensetzte.
    Mahlia schleppte die Leiche des Arztes weiter durch den Schlamm und die Asche. Sie keuchte und schwitzte. Sein Hemd zerriss, als sie daran zog. Sie verlor das Gleichgewicht und fiel vollkommen erschöpft in den Dreck.
    Es war eine verrückte Idee. In der Stadt war wahrscheinlich nicht einmal mehr genug Brennmaterial übrig. Die VPF hatte alles vernichtet. Sie würde niemals einen Scheiterhaufen errichten können, um die Leiche darauf zu verbrennen.
    Schweißüberströmt saß Mahlia mitten auf dem Feld und blickte den Toten an.
    Nicht einmal in Würde sterben lassen sie uns.
    Sie wollte weinen. Sie konnte Doktor Mahfouz nicht ins Nachleben geleiten.
    Sie wusste nicht, wie lange sie dort saß und die Leiche anstarrte. Minuten. Oder Stunden.
    Ein Schatten fiel auf sie.
    Mahlia keuchte überrascht auf. Der Halbmensch stand neben ihr.
    Â» Die Toten sind immer schwer. «
    Der Halbmensch hob den Arzt hoch, und obwohl die Totenstarre bereits eingesetzt hatte, warf Tool sich den Leichnam mühelos über die Schulter.

2 4
    Mit einer Schaufel, die Tool im Dorf gefunden hatte, hob er ein Grab aus. Dabei hörte er, wie das Mädchen das Dorf durchsuchte. Immer wieder rief sie Mouses Namen, und er musste gegen den Drang ankämpfen, sie zurechtzuweisen, weil sie solchen Lärm machte. Sie

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