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Versunkene Staedte

Versunkene Staedte

Titel: Versunkene Staedte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Bacigalupi
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beobachtet, als sie nach dem Abzug der Friedenswächter aus den versunkenen Städten geflohen war. Sie hatte gesehen, wie Menschen für ihre Prinzipien eingetreten waren. Menschen, die daran geglaubt hatten, dass es Gut und Böse gab. Die versucht hatten, andere zu retten. Menschen wie ihre Mutter, die auf so grauenhafte Weise gestorben war, dass Mahlia die schmerzhafte Erinnerung daran noch immer verdrängte. Nur Mahlia hatte überlebt. Die anderen Verstoßenen waren von der Gottesarmee, der VPF oder der Freiheitsmiliz niedergemäht worden. Mahlia dagegen hatte auf Sun Tzus Prinzipien vertraut und überlebt.
    Das Problem war dabei nur, dass man die Geister, die man zurückgelassen hatte, nicht loswurde. Hier in der kühlen Morgendämmerung im Dschungel schienen sie alle bei ihr zu sein. Schulfreunde. Lehrer. Ladenbesitzer. Alte Damen. Familien. Ihre Mutter. Und jetzt auch Doktor Mahfouz und Mouse.
    Die Leichen, die sie zurückgelassen hatte, waren für andere unsichtbar, Mahlia dagegen spürte deutlich ihre Blicke auf sich ruhen. Oder vielleicht schaute sie sich nur selbst an. Ihrem eigenen anklagenden Blick würde sie nie entkommen, so viel war klar.
    Â» Ich gehe zurück « , sagte Mahlia plötzlich.
    Der Halbmensch drehte sich zu ihr um. In der Morgendämmerung wirkte er noch seltsamer und fremdartiger als sonst. Er fraß etwas, das wie eine Schlange aussah, aber er hatte es hinuntergeschlungen, bevor sie Genaueres erkennen konnte. Einen Moment lang schien die unnatürliche Mixtur seiner Gene offen zu Tage zu treten: Tiger, Hyäne, Hund und Mensch, alles durcheinandergemengt.
    Â» Es ist zu spät « , sagte der Halbmensch. » Wenn es Überlebende gibt, werden sie dir deine Rückkehr nicht danken. Diejenigen, die du in dein Herz geschlossen hattest, sind tot. «
    Â» Dann werde ich sie eben begraben. «
    Tool betrachtete sie. » Es wäre sehr gefährlich umzukehren. «
    Â» Warum hast du ständig Angst, obwohl du so stark bist? Willst du denn nicht kämpfen? Die Soldaten haben dich doch auch verletzt, oder? Warum willst du einfach aufgeben? Ich dachte, du wärest die pure Mordlust. «
    Tool knurrte. Einen Moment lang glaubte Mahlia, er würde sie angreifen. Doch dann sagte er: » Ich stürze mich nicht in Kämpfe, die ich nicht gewinnen kann. Verwechsle das nicht mit Feigheit. «
    Â» Und wenn du nun keine andere Wahl hast, als zu kämpfen? Wenn du dazu gezwungen bist? «
    Tool sah sie an. » Ist das hier der Fall? Habe ich keine Wahl? Ist dieser Kampf von den Parzen vorbestimmt? « Er zeigte nach Norden. » Vor uns liegen noch jede Menge Kämpfe, und die haben wenigstens einen Sinn. Zu deinem Dorf zurückzukehren ist zwecklos. «
    Mahlia schenkte ihm einen finsteren Blick. » Also schön. Mach, was du willst. Ich werde zurückgehen. «
    Sie machte kehrt und lief über den Dschungelpfad zurück. Tool hatte recht, das wusste sie. Ihre Familie war bereits tot. Es war dumm, sich überhaupt die Mühe zu machen. Der Arzt war gestorben. Und Mouse ebenfalls. Sie würde nichts daran ändern können, selbst wenn sie zum Dorf zurückkehrte. Aber sie konnte nicht anders.
    Sie würde trotzdem noch ein Feigling sein, aber vielleicht würde die Selbstverachtung ein wenig nachlassen. Vielleicht würden die Geister sie weniger plagen. Und sie könnte dann wieder schlafen, ohne Scham zu empfinden.
    Tool rief ihr etwas hinterher, aber sie achtete nicht darauf.
    Der Himmel war klar und blau, in Banyan Town war jedoch alles schwarz.
    Mahlia kauerte am Rand des Dschungels und ließ den Blick über das Dorf schweifen, auf der Suche nach verborgenen Gefahren. Schweiß tropfte von ihrem Kinn. Moskitos summten an ihren Ohren, aber sie hielt weiter Ausschau.
    Nichts rührte sich.
    Die Felder waren mit rauchenden, verkohlten Stoppeln überzogen. Schwarze Asche von der verbrannten Ernte bedeckte den Boden und sammelte sich in Ackerfurchen. Selbst einen Tag später stieg noch überall Rauch auf, graue Schlangen kräuselten sich in der Luft und deuteten auf Baumwurzeln hin, die unter der Erde schwelten. In einigen Obstbäumen loderten Flammen. Schwarze, knorrige Finger, die in den Himmel ragten. Das war alles, was von Banyan Towns Obstgärten übrig geblieben war.
    Mit jeder Faser ihres Körpers wollte sie sich versteckt halten.
    Geh weg. Geh einfach weg.
    Aber sie blieb, wo sie war,

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