Verteidigung
viertens Roy Barton, der Partner, für den er arbeitete, sein Chef, ein kompletter Vollidiot, der den ganzen Tag lang nur brüllte und fluchte und vielleicht der unausstehlichste Mensch war, den David Zinc je kennengelernt hatte. Als er an Roy Barton dachte, musste er wieder lachen.
Der Fahrstuhl hielt im neunundsiebzigsten Stock, wo zwei Sekretärinnen einstiegen. Sie zögerten kurz, als sie David sahen, der in einer Ecke saß, den Aktenkoffer neben sich. Vorsichtig stiegen sie über seine Beine und warteten darauf, dass sich die Tür schloss.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte die eine.
»Mir geht’s blendend«, antwortete David. »Und Ihnen?«
Keine Antwort. Die Sekretärinnen standen steif wie Bretter da und sagten während der kurzen Fahrt kein einziges Wort mehr. Im sechsundsiebzigsten Stock flüchteten sie. Als David wieder allein war, fing er an, sich Sorgen zu machen. Und wenn sie hinter ihm herkamen? Al würde sicher schnurstracks zu Roy Barton marschieren und ihm erzählen, dass Zinc ausgerastet sei. Was würde Barton tun? Für zehn Uhr war eine wichtige Besprechung mit einem erbosten Mandanten angesetzt, einem bekannten Firmenchef … Als David später über das Ganze nachdachte, kam er zu dem Schluss, dass die zu erwartende Auseinandersetzung mit dem Mandanten vermutlich der Auslöser für sein Ausrasten gewesen war. Roy Barton war nicht nur ein unangenehmer Mensch, sondern auch ein Feigling. Er brauchte David Zinc und die anderen, um sich hinter ihnen zu verstecken, wenn der Firmenchef mit einer langen Liste völlig berechtigter Beschwerden zur Tür hereinrauschte.
Vielleicht schickte ihm Roy den Sicherheitsdienst hinterher. Der bestand aus dem üblichen Aufgebot alternder Wachleute in Uniform, aber er war auch ein firmeninterner Spionagering, der Türschlösser austauschte, alles und jeden filmte und alle möglichen verdeckten Maßnahmen durchführte, damit keiner der Anwälte aus der Reihe tanzte. David sprang auf, nahm seinen Aktenkoffer und starrte nervös auf die digitalen Ziffern, die auf der Anzeigetafel blinkten. Der Fahrstuhl schwankte leicht, während er im Zentrum des Trust Tower nach unten rauschte. Als er anhielt, stieg David aus und hastete zu den Rolltreppen hinüber, auf denen sich immer noch die traurigen Gestalten stauten, die stumm nach oben schwebten. Die abwärts führenden Rolltreppen waren fast leer, und David rannte eine davon hinunter. Jemand rief: »He, Dave, wo willst du hin?« David lächelte und winkte in die Richtung der Stimme, als wäre alles in schönster Ordnung. Er ging an den bemalten Steinbrocken und der bizarren Skulptur vorbei durch eine Glastür. Dann war er draußen, und in der Luft, die kurz vorher noch feucht und trostlos gerochen hatte, lag das Versprechen eines neuen Anfangs.
David machte einen tiefen Atemzug und sah sich um. Nicht stehen bleiben. Er lief die LaSalle Street entlang und wollte vor lauter Angst keinen Blick über die Schulter werfen. Mach dich nicht verdächtig. Ganz ruhig. Das ist einer der wichtigsten Tage in deinem Leben, sagte er zu sich, also vermassele es nicht. Er konnte nicht nach Hause, weil er noch nicht bereit war für die Konfrontation mit seiner Frau. Und er konnte nicht auf der Straße bleiben, weil er dort Gefahr lief, jemanden zu treffen, den er kannte. Wo konnte er sich für eine Weile verstecken, über alles nachdenken, den Kopf freibekommen, einen Plan schmieden? Er sah auf die Uhr: 7.51. Genau die richtige Zeit zum Frühstücken. In einem Durchgang zwischen zwei Gebäuden sah er eine blinkende Neonreklame mit dem Schriftzug Abner’s in Rot und Grün. Als er darauf zuging, konnte er nicht genau erkennen, ob es ein Café oder eine Bar war. Vor der Tür sah er sich schnell um und vergewisserte sich, dass ihm der Sicherheitsdienst nicht gefolgt war. Dann betrat er die warme, dunkle Welt von Abner’s.
Es war eine Bar. Die Sitznischen zu seiner Rechten waren leer. Sämtliche Stühle waren umgedreht auf die Tische gestellt worden und warteten darauf, dass jemand den Boden putzte. Abner, der Besitzer, stand hinter der langen, blank polierten Theke aus Holz und lächelte süffisant, als wollte er sagen: »Was haben Sie hier zu suchen?«
»Haben Sie geöffnet?«, fragte David.
»War die Tür verriegelt?«, gab Abner zurück, der eine weiße Schürze trug und gerade ein Bierglas abtrocknete. Er hatte muskulöse, haarige Unterarme und trotz seiner schroffen Art das vertrauenerweckende Gesicht eines erfahrenen
Weitere Kostenlose Bücher