Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?: Tragikomisches von unserem Körper und denen, die ihn behandeln (German Edition)
meisten psychischen Störungen, wie z.B. bei Depressionen, erreicht man mit Psychotherapie gute Behandlungserfolge. Meistens bieten die Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie gute Heilungschancen. Die beste Vorbeugung ist, bewusst zu leben, Stress zu vermeiden und genügend zu schlafen.
Auch die Autoren dieses Buches haben so einiges durchlebt und reichlich Macken angesammelt über die Jahre, wie die Kolumnen im Folgenden zeigen. Trotzdem geht es ihnen gut, zumindest halbwegs. Wir finden es wichtig, zu den eigenen Macken zu stehen – und fangen schon mal damit an.
Frederik Jötten
FREDERIK JÖTTEN
Das zuckende Auge
Eine Recherche im Internet ergibt: Augenzucken ist ein Anzeichen einer tödlichen Erkrankung. Doch der Neurologe interessiert sich vor allem für mein Liebesleben.
An einem Sonntagabend im Herbst begann mein Auge zu zucken. Es war, als ob kleine Stromstöße in mein Lid fuhren – und es hörte nicht mehr auf, an dem Abend nicht und auch nicht in den nächsten Tagen. Ich durchsuchte das Internet nach möglichen Gründen. In einem Forum fand ich den Hinweis, dies könnte ein erstes Symptom der Amyotrophen Lateralsklerose ( ALS ) sein, einer degenerativen Erkrankung des Nervensystems, die schnell zu Lähmungen und schließlich zum Tod führt. «Unbedingt neurologisch abklären!», las ich. Sofort vereinbarte ich einen Termin bei einem Neurologen.
Er lächelte milde und fragte sanft: «Was fehlt Ihnen?» Ich erzählte von meinem Muskelzucken, er nickte: «Haben Sie zufällig im Internet nachgeschaut, was das sein könnte?»
«Nur ganz kurz …»
Er nickte bedächtig. «Ich habe hier öfter junge Patienten, die viel im Internet lesen. Es gibt diese Krankheit ALS , die unweigerlich zum Tod führt …»
«Genau!»
«Ich möchte mit einer Elektromyographie ausschließen, dass Sie ALS haben.»
Er bat mich auf eine Liege und stach eine Nadel in meinen Unterarm, die über ein Kabel mit einem Gerät verbunden war. Als ich, wie mir geheißen, eine Faust machte, begann es zu knattern. Wie ein Geigerzähler klang das, der schneller tickt, wenn die Strahlung zunimmt – hier knatterten die elektrischen Impulse meiner Unterarmmuskeln.
«Alles völlig in Ordnung», sagte der Arzt. Er bat mich wieder zum Schreibtisch. Ich saß ihm jetzt gegenüber. Er schrieb meine Diagnose auf einen Zettel und reichte ihn herüber. «Benigne Faszikulation», stand darauf. «Das heißt gutartige Muskelkontraktionen, verstehen Sie?» Das «gutartig» betonte er besonders, ich nickte. Er guckte mich nachdenklich an.
«Wissen Sie, was ein Tick ist?»
«So was wie eine Vollmeise?»
Er schob mir wieder einen Zettel herüber, darauf stand nicht «Tick», sondern «Tic».
Davon hatte ich auch in dem Forum gelesen!
«Habe ich etwa das Tourette-Syndrom?»?
«Sie schauen also doch im Internet nach! Es gibt Menschen, die haben verbale Ausfälle – die sagen dann unkontrolliert ‹ficken› oder so.» Er sah mich fragend an.
Ich musste lachen. «Nein, ganz so schlimm ist es noch nicht.»
«Im Internet findet man im Zusammenhang mit Tics vor allem das Tourette-Syndrom», sagte er. «Aber viele Menschen haben Tics, nur ein Prozent davon hat das Tourette-Syndrom.» Um mir das zu demonstrieren, drehte er seinen Laptop so, dass ich den Bildschirm sehen konnte, und googelte «Tic». Die ersten Treffer auf der Liste waren allerdings Links, die auf die Neunziger-Jahre-Band «Tic Tac Toe» verwiesen. Der Arzt schüttelte den Kopf. «Egal. Was ich Ihnen sagen möchte: Tics sind sehr häufig, kein Grund zur Beunruhigung.»
«Es ist keine schöne Vorstellung, demnächst als ‹Der mit dem Auge zuckt› bekannt zu werden», antwortete ich.
«Muss nicht sein – haben Sie Stress?»
«Beruflich geht es eigentlich im Moment.»
«Und privat?»
«Liebeskummer …»
«Seit wann?»
«Seit ein paar Wochen …»
«Dann warten Sie mal ab – wenn der sich legt, lassen vielleicht auch die unwillkürlichen Kontraktionen nach. Muskeln werden nicht an- oder ausgeschaltet, es gibt für sie hemmende und aktivierende Bahnen. Manchmal, wenn man angespannt ist, dann stimmt die Balance eben nicht mehr.»
War ich wirklich wegen meines Liebeskummers beim Neurologen? Ein bisschen peinlich. Der Arzt schien Gedanken lesen zu können. «Wir Neurologen sind dafür da, abzuklären, ob etwas psychisch oder physisch ist. Wenn Sie wieder etwas haben – keine Scheu, kommen Sie vorbei!»
Beim Rausgehen fragte er mich: «Wie Sie mit Ihrem Liebeskummer umgehen,
Weitere Kostenlose Bücher