Verwegene Herzen (German Edition)
sah Will die Frau an. Sie kniete mit gesenktem Blick am Boden. Um den Kopf trug sie ein safranfarbenes Tuch, wie es lange schon aus der Mode war. Er erkannte sie.
Aber sie habe ich doch in Nottingham eingesperrt .
Nach all diesen Listen, Finten und Hinterhalten konnte er nicht mehr begreifen, was er jetzt sah. Es war ein Gefühl, als stände er zu Beginn eines Tanzes als Einziger ohne Partner da.
Vorsichtig berührte er sie. Sie zuckte zurück, begann wieder zu schreien, holte aus und stieß ihm ihre Schulter in die Magengrube. Der unerwartete Angriff brachte ihn aus dem Gleichgewicht, und er stürzte zu Boden. Ihm stockte der Atem. Die Frau sprang rittlings auf ihn und schlug mit der Faust auf sein Ohr. Er stöhnte, dann schrie er auf, als sie mit einem weiteren Hieb direkt seine Wunde traf. Endlich umfasste er mit beiden Händen ihre schlanke Taille und schob sie weg.
Carlisle rief seinen Männern Befehle zu, doch Will konnte nicht mehr klar denken. Er handelte nur noch instinktiv, packte die Frau an den Handgelenken und zog sie zum nächsten Pferd. Der lähmende Schmerz in seiner Wunde machte seine Bewegungen unbeholfen, doch eine ungute Ahnung verlieh ihm Kraft.
„Lasst mich gehen!“
„Mein Wort, ich tue Euch nichts!“
Er hob die Frau in den Sattel und saß hinter ihr auf. Dunkle, zerzauste Locken quollen unter der Kapuze hervor und kitzelten ihn an der Nase. Sie roch nach feuchtem Laub, Sonne und – Essig?
Will trieb das Pferd an und floh mit ihr.
Das Pferd suchte sich seinen Weg durch den Charnwood Forest. Zweige und Blätter schlugen Meg wie Peitschenhiebe ins Gesicht, zerrten an ihrem Haar, und jeder neue Hieb fügte ihr weiteren Schmerz zu. Sie legte den Kopf an die Brust ihres Retters. Leder und Eisenringe pressten sich ihr in die Wange. Wohin auch immer ihre überstürzte Flucht sie führen würde, ihre Sicherheit bei diesem halsbrecherischen Ritt hing von seinem Geschick ab, egal, ob er sich als Held oder Schurke erweisen würde.
Aber nichts ließ sich mit dem Schicksal vergleichen, das sie um ein Haar ereilt hätte. Nie zuvor hatte sie solch entsetzliche Angst empfunden wie in jenem Moment, als diese beiden männlichen Ungeheuer sie mit eisernem Griff festgehalten hatten. Es machte ihr weniger Angst, einem einzigen Gegner ausgesetzt zu sein.
Der Fremde beugte sich tief über den Hals des Pferdes. Stets glich er mit seinen Bewegungen die Wendungen und Sprünge des Tieres aus und schützte sie vor den Zweigen, so gut es ging. Er atmete schwer, im selben Rhythmus wie sie vorankamen. Die Zeit schien so langsam zu vergehen wie eine schlaflose Nacht.
Als das Pferd ermüdete, richtete er sich auf und zügelte es. Meg löste sich von ihm. „Warum halten wir an?“
„Dem Pferd kann zu leicht gefolgt werden.“
Die Erschöpfung ließ seine Stimme heiser klingen. Oder zumindest hoffte sie, dass es Erschöpfung war, und dachte an Hugo. Dieser hinterhältige Dieb hatte ebenso geklungen, als er sie genommen hatte – genau wie sie selbst.
Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie fast auf dem Schoß dieses Fremden saß, und löste sich aus seinem Griff. „Was werdet Ihr tun?“
„Beruhigt Euch. Ich will Euch nichts Böses.“ Langsam wurde sein Atem ruhiger. „Euer Bericht wird zusammen mit meinem die näheren Umstände dieses Hinterhalts klären. Man wird mich für den Zwischenfall nicht verantwortlich machen.“
Meg rieb sich mit dem Daumen über die Unterlippe. Er musste lange über den Angriff nachgedacht haben, während sie durch den Wald ritten. Im Gegensatz dazu hatte der wilde Ritt ihren Verstand mit Vorahnungen und Enttäuschungen vernebelt. Sie schluckte ihre Angst hinunter und sammelte sich.
Schließlich stieg er von dem erschöpften Pferd und zog sie auf den festen, sicheren Boden. „Werdet Ihr mir helfen, Frau?“
Sie hielt den Kopf gesenkt. Der Mann, der sie gefangen hatte, hatte zwei Männer umgebracht, vielleicht mehr. Um sich vor dem Strick zu retten, würde er sie schützen.
Die Lüge ging ihr leicht über die Lippen. Wie immer.
„Das werde ich.“
„Gut.“
Sie konnte nicht sehen, wie er reagierte. Genauer gesagt hatte sie auch nichts von dem Kampf auf der Straße gesehen – und ebenso wenig irgendetwas anderes in den letzten fünf Jahren.
Aber die Wahrheit spielte keine Rolle. Solange er ihre Aussage für wertvoll hielt, würde er sie vielleicht beschützen. Bald würden Lord Whitstowe und seine Ritter sie eingeholt haben. Bis dahin galt es, ihre Behinderung zu
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