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Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)

Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)

Titel: Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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christlichen Bauern vor allem aus Polen und Russland in das Osmanische Reich. Aus anderen Teilen Europas kamen Juden, die wie die Bauern im Schutz des Halbmonds ein besseres Leben nicht nur suchten, sondern auch fanden. Die Ursache dafür war ziemlich einfach. Was die Bauern anlockte, war, dass sie in einigen der osmanischen Provinzen auf dem Balkan nur zehn Prozent ihrer Ernte als Steuer zu entrichten hatten, während ihre Brüder in angrenzenden christlichen Ländern bis zu 25 Prozent bezahlen mussten. Was die Juden anzog, waren einerseits die religiöse Toleranz – die erheblich größer war als im christlichen Europa –, andererseits die großzügigen Privilegien, die die osmanischen Herrscher ausländischen Kaufleuten gern bewilligten. Die soziale Mobilität war ebenfalls groß. Auch wenn die breite Masse im Osmanischen Reich aus mehr oder weniger leibeigenen Bauern bestand, die unter primitiven Verhältnissen lebten und mit primitiven Methoden arbeiteten, und auch wenn die gesellschaftlichen Klassengrenzen stark ausgeprägt waren, waren sie doch nicht wie in vielen christlichen Ländern nahezu unüberwindlich. Für Talentierte und Karrierelüsterne gab es im Rahmen des Systems gute Aufstiegsmöglichkeiten. Auch die Situation der Frauen war besser als in manchen Staaten Westeuropas; unter anderem durften sie Vermögen besitzen und darüber verfügen, ohne eine Erlaubnis ihrer Männer oder anderer männlicher Vormünder einholen zu müssen.
    Das Osmanische Reich mit seinen knapp 30 Millionen Einwohnern war in höchstem Grad multikulturell. Das gigantische Konstantinopel, das mit seinem Gewimmel von 700 000 Einwohnern europäische Großstädte wie Paris, Madrid, Amsterdam und Hamburg peinlich klein aussehen ließ, war noch in vielfacher Hinsicht eine griechische Stadt, in der die griechisch-orthodoxe Kultur eine wichtige Rolle spielte und verschiedene Sprachgruppen und Religionen Seite an Seite lebten. Die Völker des Imperiums lebten unter dem sogenannten
millet
-System. Dies bedeutete, dass jede Gruppe entsprechend ihrer Religionszugehörigkeit einer besonderen Nation
(millet)
zugeordnet war. Außer dem Millet der Muslime, die im Reich dominierten, gab es drei weitere: das der Griechisch-Orthodoxen, dem außer Griechen auch Slawen und Rumänen angehörten, das der Juden sowie das der christlichen Armenier, dem auch die Zigeuner, die Assyrer, die syrischen Monophysiten, die bosnischen Bogomilen, die Balkankatholiken und die libanesischen Maroniter angehörten. Jedes Millet war mehr oder weniger autonom und verwaltete seine religiösen Institutionen selbst, eröffnete und betrieb eigene Schulen, Krankenhäuser und Armenhäuser und sprach sein eigenes Recht. Auch innerhalb jedes Millet konnten mehrere verschiedene Gruppen ein hohes Maß an Selbstverwaltung genießen. Nur in der jüdischen Gemeinschaft gab es mehrere separate Gruppen, zum Beispiel die
Aschkenasim
, die vor den Verfolgungen in Mitteleuropa geflohen waren, und die
Sephardim
, die einst aus Spanien und Portugal vertrieben worden waren. Beide Gruppen waren kapitalstark und kaufmännisch erfahren und trugen dazu bei, die Wirtschaft des Osmanischen Reichs zu stärken. Auch die Ausländer, die eher vorübergehend im Reich lebten, genossen nach islamischem Recht besonderen Schutz,
aman
, der ihre Sicherheit und das Recht, tätig zu sein, verbürgte, während sie gleichzeitig bedeutend niedriger besteuert wurden als die Einheimischen.
    Viele Minoritäten konnten im Osmanischen Reich in einer Freiheit leben, von der vergleichbare Gruppierungen im christlichen Europa nur träumen konnten. Wie die kleineren Volksgruppen, die in dem nun zerschlagenen deutschen Reich lebten, wurden sie durch die enorme Größe des Staatsgebildes beschützt. Einen noch wichtigeren Teil der Erklärung dieses glücklichen Zustands finden wir im osmanischen Staat. Er forderte von den Untertanen seinen jährlichen Tribut, ungeachtet der Religion und der ethnischen Zugehörigkeit, ließ sie aber ansonsten weitgehend ungestört ihre eigenen Angelegenheiten regeln. Lange Zeit hatten viele Staaten im christlichen Teil des Kontinents dem osmanischen darin geglichen, dass die Herrschenden sich recht wenig darum kümmerten, was draußen im Land geschah, solange die Steuern rechtzeitig eingingen. Die Zersplitterung war selbstverständlich, ein naturgegebener Zustand. Noch konnte man entlegene Gegenden und Nischen im christlichen Europa finden, die der Staat noch nicht fest im Griff hatte,

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