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Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)

Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)

Titel: Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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von der finsteren Energie verbraucht, die früher den religiösen Kämpfen ihre Dynamik gegeben hatte, indem zugleich auch die Sache der religiösen Fanatiker ins Zwielicht geraten war. Immer noch konnte man auf verblendete Eiferer, Extremisten und Reinlehrige stoßen, doch immer weniger Fürsten waren noch bereit, auf sie zu hören. Die Probleme existierten, aber man fing an, sie als lösbar zu betrachten. Die Orthodoxie war endlich auf dem Rückzug.
    Erik Jönssons Reise nach Jerusalem war jedoch nicht nur eine religiöse Handlung. In noch höherem Maß war sie Ausdruck seines Fernwehs und seines großen Hungers nach neuen Eindrücken. Dass auch reine Abenteuerlust keine ungewöhnliche Motivation für Pilger war, zeigt sich daran, dass ein großer Teil von ihnen gerade junge Männer im Alter von 20 bis 30 Jahren waren. Erik war also im richtigen Alter. Es war ihm offenbar bewusst, dass das ganze Unternehmen gewagt und voller Schwierigkeiten war – insbesondere, weil er völlig mittellos war –, aber er musste anscheinend etwas beweisen, sich selbst und anderen. Im Tagebuch schreibt er, dass «für eine junge Person nichts lobenswerter ist, als in der Jugend zu reisen und die Welt anzusehen». Die Reise nach Jerusalem, diese erste Reise, muss wohl als ein weiterer Ausdruck von Eriks nimmermüdem Bestreben angesehen werden, sich zu vervollkommnen, Ansehen, Aufmerksamkeit und Lob zu gewinnen. Die Einwände wischte er zur Seite: «… nahm ich Gott und das Glück zu Hilfe», schreibt er im Tagebuch, «es für edler und lobenswerter haltend, an fremden Orten Schlimmes zu erleiden, als zu Hause im Kehrichtwinkel zu sitzen, wie manche es tun.» Es ist eine selbstauferlegte adlige Haltung, die hier bei dem jungen nichtadligen Karrieristen zu beobachten ist. Dies ist auch ein weiterer Beleg dafür, dass der junge Mann sich in raschem Tempo viele Haltungen und Ausdrucksformen der adligen Welt zu eigen macht. In diesen Worten, ja in der ganzen Unternehmung, scheint die hochmütige Verachtung des freien Kriegers für den Bauern und Bürger auf, diese an den Boden gefesselten Sklaven, die weder Ehre sammeln noch «an fremden Orten Schlimmes erleiden» – sei es im Frieden oder im Krieg –, sondern still zu Hause sitzen und ihren Garten bestellen – das ist es, was Erik mit einer schnodderigen Wendung «im Kehrichtwinkel sitzen» nennt. Die Reise nach Jerusalem stellt sich auch als Zusammenfassung seines gesamten Lebensprojekts dar: Es fehlt ihm an Mitteln, und der Weg ist unsicher und schwierig, doch das schreckt ihn nicht, denn er ahnt weit in der Ferne ein Ziel, das die Mühe lohnt und das ihm am Ende … ja, Erlösung schenken wird.
    Am 23 . März 1654 , nur gut drei Tage nach seiner Ankunft in Wien, brach Erik zusammen mit de la Hay und Pater del Vedo nach Osten auf. Zu dieser Zeit lag Wien an der äußeren Grenze der europäischen Christenheit, und das islamische Morgenland war nicht weit entfernt. Es waren nur gut 100 Kilometer Luftlinie bis zu dem riesigen Osmanischen Reich, dessen unüberschaubare Masse sich vom Persischen Golf im Osten bis zur Straße von Gibraltar im Westen, von der Nubischen Wüste im Süden bis zu den Karpaten im Norden erstreckte – für die Europäer ein Imperium der Finsternis, das Untier schlechthin, unendlich erschreckend in seiner Stärke, seinem Unglauben und seiner Unermesslichkeit. Und dorthin sollte er nun reisen, hinab in den Bauch des Ungeheuers.

XI. Am Scheideweg ( 1654 – 1656 )
    1 . In diesem Zeichen wirst du siegen
    Das osmanische Imperium – Ein multikulturelles Reich – Der unterentwickelte osmanische Staat – Konservatismus und Erstarrung – Ökonomische und politische Krise – Erik kommt nach Gran – Zurück in die Christenheit – Die große Neuigkeit
    Dass das ungeheure Osmanische Reich viele Europäer in einen Zustand nervöser Unruhe versetzte, ist nicht verwunderlich. Während des vorausgegangenen Jahrhunderts hatte es sich in alle Himmelsrichtungen ausgebreitet, seine Militärmacht war überwältigend, und seine Herrscher standen in dem Ruf, aggressiv und eroberungslustig zu sein. Ein Imperium der Finsternis indessen war es nicht, sondern eins, in dem Menschen eher Zuflucht suchten, als dass sie aus ihm flohen. Das einfache Volk in Europa kümmerte sich recht wenig um Grenzen zwischen den Ländern, die für sie hauptsächlich politische Fiktionen waren, die ferne Theoretiker geschaffen hatten. In dieser Zeit gab es auch einen ständigen Zustrom von

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