Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)
vor 1650 übersetzt worden. Diese Gleichgültigkeit war leicht zu verstehen: Lange Zeit war die muslimische Welt der christlichen in Kultur und Wissenschaft überlegen gewesen. Als dann die europäische Kultur zu Beginn des 16 . Jahrhunderts aufzuholen begann, überschatteten die großen militärischen Erfolge des Osmanischen Reiches, was in der Praxis ein Verlust auf anderen Feldern war. Eine Wissenskluft hatte sich nach und nach zwischen Osten und Westen aufgetan, nicht zuletzt technologisch, und das war neu. Noch waren die gelehrten Institutionen des Imperiums, Schulen und
medrese
– Universitäten –, von hoher Qualität, aber auch hier war im 17 . Jahrhundert ein Rückgang zu verspüren, der der Weigerung der islamischen Elite, sich von dem Machtzuwachs Europas imponieren zu lassen, und ihrem Unvermögen, aus dessen neuem Wissen zu lernen, entsprang. Stattdessen verlor man sich, wie die Herrschenden in Spanien, in Nabelschau, Selbsttäuschungen und Träumen aus Zuckerwatte von vergangenen großen Tagen. Die politischen Schwierigkeiten und wirtschaftlichen Rückschläge, die auch dem Osmanischen Reich zusetzten, führten zu einem Aufschwung mehr orthodoxer islamischer Gruppen wie der sogenannten
Kadizâdeler.
Sie verbreiteten eine Stimmung von Engstirnigkeit, ideologischem Dogmatismus und Intoleranz im Reich, verurteilten alle Neuerungen, verwarfen alle Reformen und machten es dem Sultan in Konstantinopel äußerst schwer, für seine alten Probleme neue Lösungen zu finden.
Denn auch das Osmanische Reich steckte in einer Krise. Die Wirtschaft war in Unordnung geraten, während gleichzeitig die Staatsausgaben alle Grenzen sprengten. In den frühen fünfziger Jahren reichten die Einkünfte des Staats nur für zwei Drittel seiner Ausgaben. Das Defizit wurde mit Krediten, raffinierten Manipulationen der Währung, direkten Konfiskationen sowie einer pikanten fiskalischen Fiktion unter dem Namen «Erhebung zukünftiger Steuern» gedeckt. Heftige Hofintrigen, staatliche Spitzbüberei und verwickelte interne Streitereien zwischen verschiedenen Cliquen unter den Herrschenden waren seit langem ein Merkmal der osmanischen Politik gewesen, und sie nahmen in Proportion zu dem Anwachsen der allgemeinen Probleme zu. Der gründlich inkompetente Sultan Ibrahim – im Volksmund
Deli Ibrahim
, der verrückte Ibrahim genannt, ein ziemlich verschrobener Herr, der aus irgendeinem Grund von Pelzen besessen war und zu ruinösen Kosten sämtliche Wände des schönen Topkapi-Palasts mit diesem teuren Material hatte bekleiden lassen – war 1648 von seiner eigenen Palastwache abgesetzt worden, die wie ein großer Teil der staatlichen Bürokratie der Korruption, der ausbleibenden Löhne und eines wild wuchernden fiskalischen und monetären Chaos überdrüssig geworden war. Ibrahim wurde zunächst in Hausarrest gehalten, begann jedoch bald, mit einer derart deutlichen und nachdrücklichen Imbezillität aufzutreten, dass die Revoltierenden keine andere Wahl zu haben meinten, als ihn in aller Stille zu erdrosseln. Danach hatte eine Parade von despotischen Prätendenten und wüsten Palastrevolten, Haremsintrigen und Militärputschen, Mord und Bestechungen eingesetzt. In acht Jahren hatte das Reich dreizehn verschiedene Großwesire. Nicht, dass der ständige Personalwechsel an der Spitze in nennenswerter Weise half. Im Winter 1650 sah es eine Zeitlang so aus, als stehe das Imperium vor dem direkten Kollaps. Anarchie herrschte. Auf dem Land und in den Städten hatten große Verbrecherbanden das Sagen, die Inflation sprengte alle Grenzen, vom Land kamen keine Nahrungsmittel mehr in die größeren Orte, und der Hunger breitete sich aus; Geldmangel führte dazu, dass das ausgebaute Wegenetz langsam verfiel und dass die großen Aquädukte, die seit der Römerzeit Konstantinopel und andere Städte mit Wasser versorgt hatten, einstürzten; ungesundes oder vergiftetes Wasser schuf schwerwiegende Probleme, während gleichzeitig die großen Abflussprobleme fast unerträglich wurden; die Metropole war im Begriff, in einer Wolke von Kot-und Uringestank unterzugehen. In dem Jahr vor Eriks Reise in das Osmanische Reich hatten drei große Palastrevolten stattgefunden, während sich gleichzeitig verschiedene islamische Gruppen bekämpften; das undisziplinierte Heer murrte – mehr aus alter Gewohnheit als aus anderen Gründen –, und Konstantinopels Kaufleute standen kurz davor, aufgrund der ständigen staatlichen Pfuscherei mit der Währung eine eigene
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