Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)

Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)

Titel: Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
Vom Netzwerk:
Revolte anzuzetteln. Ein seltsames politisches Paradox trat zutage. Wie tüchtig der Herrscher auch sein mochte, es endete trotz allem fast immer wieder auf die gleiche Weise, will sagen mit dem Würgstrick. Alle greisen Wracks und schlaftrunkenen Genießer auf dem Herrscherthron wurden durch ihre eigene Unfähigkeit binnen kurzem gestürzt, und selbst den durchtriebeneren und klarblickenden Führern fiel es schwer, sich zu halten wegen des mäkeligen Widerstands, den alle Reformversuche bei der einen oder der anderen Fraktion hervorriefen.
    Die Krise, die so viele Länder und Reiche in Europa erschüttert hatte, machte an der äußeren Grenze der Christenheit nicht halt.
     
    Erik und seine Gesellschaft brauchten sechs Tage, um die Grenze des Osmanischen Reiches zu erreichen. Als sie wohlbehalten dort ankamen, sandte de la Hay einen Trompeter zu dem türkischen Pascha in Buda, um ihre Ankunft zu melden und zu begehren, dass dieser sie in Empfang nehme. Nach gut einer Woche kam der Trompeter mit einem Pass vom Pascha zurück. Begleitet von zwölf österreichischen Husaren gingen sie am 10 . April 1654 über die Grenze bei Neuhäusel, das an einem Nebenfluss der Donau gelegen war. Die Grenze der Christenheit war von zwei mit Doppeladlern geschmückten Säulen markiert, die einen weißen Schild mit einem roten Kreuz und der Überschrift «In hoc signo vinces» – «In diesem Zeichen wirst du siegen» – auf der Brust trugen. Etwa 50 Meter weiter standen zwei andere Säulen, die mit Halbmonden und den arabisch geschriebenen Worten «Bis er die ganze Erde erfüllt» verziert waren – zwei aggressive Kulturen, die einander böse anknurrten.
    In der Mitte zwischen den Säulen übergab der christliche Trompeter seine Gesellschaft und seinen Auftrag einem türkischen Kollegen. Ein osmanischer Beamter mit einem massiven Gefolge von 24 Personen nahm sie «mit Verbeugungen und Kopfschlagen» in Empfang, nahm ihren Pass, «der sehr klein war», und befestigte ihn an seinem Turban über der Stirn. Eriks Gesellschaft nahm tränenreich und besorgt Abschied von der christlichen Welt, dann ging die Reise weiter. Schon am nächsten Tag erreichten sie die Festungsstadt Gran an der Donau. Sie wurden bei einigen Christen einquartiert und erhielten später eine Audienz bei dem osmanischen Gouverneur der Stadt, den Erik als «recht schön und höflich» beschreibt: Dieser bot ihnen Konfekt und Sorbet an, das der verblüffte Erik «eine Art Getränk» nannte. Dass ihm die Einordnung dieser Speise schwerfiel, ist leicht zu verstehen, wenn man bedenkt, dass Eis in Europa noch eine Neuheit war und eine Rarität, die nur von wirklichen Kennern genossen wurde.
    Nach einer längeren Wartezeit in Gran begriffen Erik und seine Gesellschaft, dass irgendetwas nicht stimmte. Der Gouverneur wusste zu berichten, dass der Pascha von Bosnien unglücklicherweise gegen Ungarn ins Feld gezogen war. (Dies war einer der Nachteile des freien osmanischen Staatssystems: Verschiedene lokale Vasallen und halbselbständige Fürsten taten nicht immer das, was ihre Oberherren in Konstantinopel sagten, und sie zögerten selten, Perioden der Schwäche im Zentrum auszunutzen, um zu eigenen kleinen Abenteuern auszuziehen.) Die Stimmung im Land war unruhig. Der Pass, den sie hatten, würde ihnen sicherlich Schutz bieten, wenn sie auf reguläre Truppen stießen, «doch wenn es das Unglück wollte, daß wir gemeinen Schurken in die Hand fallen, dann wären wir alle verloren». Sie warteten noch einige Tage in der Festungsstadt, doch die unsichere Lage wies keine Anzeichen einer Verbesserung auf, eher umgekehrt. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als umzukehren nach Österreich.
    Eskortiert von 40 türkischen Reitern reisten sie zur Grenze zurück. Während sie an der geschlossenen Grenze darauf warteten, eingelassen zu werden, wurden sie von dem örtlichen osmanischen Verwaltungschef und den Bauern, «wie auch von den Türken, welche mit uns sehr lustig Umgang pflegten, sehr gut traktiert». Auch Erik erschien das Osmanische Reich bei näherer Betrachtung nicht als ein Imperium der Finsternis. Aus seinem Tagebuch ist Zufriedenheit – und vielleicht auch eine Spur von Verwunderung – über die gute Behandlung herauszulesen, die er erfuhr.
    Am 27 . April 1654 war Erik zurück in Wien. Enttäuscht musste er feststellen, dass aus seiner Pilgerreise nach Jerusalem nichts geworden war. Dies war sein erster Versuch.
    Aber Erik verfiel nicht in mutlose Lethargie. Eine

Weitere Kostenlose Bücher