Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)
Der Besuch bei der Schwester war bemerkenswert kurz und und wurde in zwei, drei Tagen erledigt. Sein Sinn stand nach anderem als geschwisterlichem Beisammensein. Er war nach Schweden gekommen, um seine Karriere voranzutreiben.
Eine Möglichkeit begann sich abzuzeichnen, nicht nur, weil Erik gewisse Kontakte in den Kreisen um den neuen König hatte. Der Thronwechsel bedeutete auch, dass alle, die eine fabelhafte militärische Karriere anvisierten, einer Zukunft entgegengingen, die sich in dem gleichen Maß aufhellte, wie sie sich für alle anderen verdunkelte.
Es kam zu einem klaren Stimmungsumschwung, nachdem Karl Gustav König geworden war. Christina war keine besondere Friedensfreundin gewesen, doch ihre Interessen und Ambitionen waren friedlich, davon zeugte das kurze, aber bemerkenswerte kulturelle und wissenschaftliche Feuerwerk, das in den frühen fünfziger Jahren am Hof in Stockholm abgebrannt wurde. Sowohl Christina als auch Karl Gustav ritten indessen auf dem gleichen Tiger, dem feudalen System. Noch immer waren territoriale Eroberung und Kriegsbeute im Prinzip die einzigen Wege, die allen Staaten und Individuen offenstanden, die auf große und schnelle Gewinne aus waren. In einem politischen System wie einer Monarchie hatte der Regent großes politisches Gewicht und die Möglichkeit, die dem System innewohnende, zu Krieg und Kampf treibende Kraft zu bremsen oder zu beschleunigen. Obwohl Christina nicht weiter pazifistisch gesinnt war, hatte sie doch als dämpfende Kraft gewirkt, indem sie die Energien des schwedischen Reiches in friedliche Kanäle lenkte. Nun wurde ihr Platz von einem Mann eingenommen, der seinen rechten Wert nicht gefunden hatte, bis er bei der Armee gelandet, der die Fülle seiner Existenz nicht ausgeschöpft hatte, bevor er auf dem Schlachtfeld stand, und der offenbar den Rausch entdeckt hatte, der in der Gefahr liegt; der entdeckt hatte, dass es die höchste Erfüllung des Lebens sein kann, wenn man das Leben bewusst aufs Spiel setzt. Die Jahre im Feld hatten seinen Sinn verhärtet, seine Denkart militarisiert und seine Antipathien gegen verschiedene Nachbarn wachsen lassen, während die Erfolge, die er genossen hatte, so groß waren, dass er ein entschiedenes militärisches Talent an sich erkannte, aber gleichzeitig so gering an Zahl waren, dass sein Hunger nach mehr noch nicht gestillt war. Hatte nicht das ungelegene Kriegsende 1648 diesen ruhmsüchtigen 31 -Jährigen um viel wohlverdiente
gloire
betrogen, hatte nicht der Friede ihn nur in einen erstickenden und dämmerungsfahlen Halbschlaf von Saufereien, Weibergeschichten und zunehmender Fettleibigkeit versinken lassen?
Ein Mann hatte den Silberthron bestiegen, der die Maschine nicht mehr bremsen, der den Tiger nicht mehr zurückhalten, sondern ihm vielmehr die Zügel freigeben würde, ja, der ihn sicher willig antreiben würde in die Richtung, in die er immer laufen wollte.
Karl Gustavs Thronbesteigung führte auch zu einem klaren Stimmungswechsel in Stockholm und unter den oberen Schichten im Reich. Die Hoffeste, die Aufzüge, die Ringrennen und die schönen Feuerwerke gingen noch eine Zeitlang weiter, wurden aber weniger und waren schließlich nur noch Veranstaltungen von Seltenheitswert; das blühende Theaterleben stagnierte und kam zum Erliegen; die Scharen von bekannten und unbekannten Wissenschaftlern und Gelehrten, die nach Stockholm geströmt waren und eine Weile die Hauptstadt in ein gefeiertes Zentrum für humanistische Studien in Europa zu verwandeln schienen, hatten bereits begonnen, den Staub der Stadt von den Füßen zu schütteln. Bald war keiner von ihnen mehr da. Die einzigartigen Kunst-und Buchschätze, die unter enormen Kosten zusammengebracht worden waren, wurden zerstreut. Einen großen Teil nahm Christina ganz einfach mit, als sei es ihr persönlicher Besitz, manches verschenkte sie, anderes behielten ihre gelehrten Schützlinge als Entschädigung für ausgebliebenen Lohn. Andere Zeiten standen bevor, Zeiten, in denen die Fähigkeit, Ballett zu tanzen, über Plinius zu disputieren, Fürsten abzukonterfeien, französische Poesie zu schreiben oder auf dem Seil zu tanzen, als durchaus entbehrlich angesehen wurde und niemand sich mehr dessen zu schämen brauchte, dass seine Faust um den Degengriff erstarrt war und dass die einzige «Mathesie», die man beherrschte, die Formel für die Ladung einer Minengalerie war. Es war schön und festlich gewesen, solange es dauerte, doch wie alle Feuerwerke musste es
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