Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)
mit denen sein Machtantritt verknüpft war. Anschließend wurde das Papier an Karl Gustav zurückgereicht, der es mit einer tiefen Verbeugung Christina gab. Nun erhob sich Christina und winkte die vornehmsten Reichsräte zu sich, um ihr zu helfen, sich aller Insignien der Macht zu entledigen. Der Reichsrat, der bisher das Reichsschwert getragen hatte, legte dieses nun auf eines der Kissen auf dem kleinen Tisch, ein anderer legte den Reichsschlüssel nieder, Axel Oxenstierna nahm den Reichsapfel, Gabriel Oxenstierna das Zepter. Nun fehlte nur noch die Krone. Eigentlich hätte Per Brahe sie nehmen sollen, doch er rührte sich nicht vom Fleck – mit dieser Gebärde demonstrierte er offen seinen Unmut über die Abdankung –, und nach kurzem Warten griff Christina die Krone selbst und hob sie von ihrem Kopf. Nun nahm Brahe sie entgegen.
Christina trat einige Schritte vor und stellte sich auf die unterste Treppenstufe. Sie stand dort in ihrem glatten weißen Kleid, einfach, in einer eindrucksvollen Geste allen königlichen Ornats entkleidet, nicht mehr Königin, verwandelt, fast nackt. Gerade der Anblick dieser menschlich gewordenen Regentin ergriff die Menschen in dem heißen, stickigen Saal, und als sie zu sprechen begann, war die Stimmung hochgespannt. Sie sprach laut und klar, aber sie war selbst bewegt, und hier und da schwankte ihre Stimme. Sie dankte ihnen allen, den Reichsräten und den Ständen für ihre Treue und Hilfe. Im Saal begannen Frauen und Männer zu schluchzen und zu weinen, wohl weniger über das, was sie sagte, als darüber, wie sie es sagte, als sie dort stand, «schön wie ein Engel», wie Per Brahe selbst später schrieb.
Danach stieg Christina die letzte Stufe hinab, einen letzten Schritt, der sie endgültig hinunter und vom Thron fortführte. Sie ging zu Karl Gustav, nahm ihn an der Hand, führte ihn zum Thron, zeigte ihm die Regalien. Mit einer typischen Höflichkeitsgeste von der übertriebenen Art der Zeit bat der Pfalzgraf Christina, sie zu behalten und ihren früheren Platz wieder einzunehmen, aber sie sagte nein, und Karl Gustav ließ es dabei bewenden. Danach folgten neue Reden, neues Weinen, neues Händeschütteln und neue hochgemute Treueversprechen.
Am Nachmittag wurde Karl Gustav, nun in Weiß gekleidet, im Dämmerlicht des Doms von Christinas einstigem «Papa», dem vollbärtigen Bischof Johannes Matthiæ, gekrönt. Christina weigerte sich, daran teilzunehmen, und als die Prozession mit Schwedens neuem König sich unter eifrigem Salutieren und Geldausstreuen durch Uppsala schlängelte, stand sie abseits an einem Fenster und sah zu. Bereits spät am Abend des folgenden Tags reiste sie aus Uppsala ab; sie beabsichtigte, Schweden zu verlassen. Christina wurde ein Stück des Wegs von einer langen Karawane von Pferden und Wagen, in denen Karl Gustav, die Reichsräte und der versammelte Adel des Reichs saßen, aus der Stadt geleitet. Es regnete in Strömen, und bei Flottsund südlich der Stadt nahmen sie Abschied von der jungen Frau, die ihre Herrscherin gewesen, aber der Stimme ihres Herzens gefolgt war und die Macht und die Herrlichkeit um eines anderen Lebens willen verlassen hatte. Man kann sich die Szene vorstellen: im fahlen Licht der Sommernacht ein Gedränge von goldplattierten Karretten, gezogen von scheuenden Pferden, Scharen würdevoller Herren in nassen Umhängen, den Hut in der Hand, das Haar in nassen Locken am Kopf klebend, weinend – denn sie weinten, bewegt von der Symbolik des Augenblicks. Dann ruckte Christinas Wagen an und verschwand hinaus in den Regen und die Dunkelheit. Die meisten der durchnässten Männer, die dort am Fyrisån im Sommerregen standen, sollten sie nie wiedersehen.
4 . Am Scheideweg
Karl Gustavs Krönung – Stimmungsumschwung – Erik will Soldat werden – ‹Viele große Herrenkinder waren im Weg› – Mit den Cronstiernas nach Deutschland – Italien und die Krise – Über den neuen Barockstil – Venedig, sein Reichtum und seine Weltoffenheit – Erik zeichnet – David Klöcker – Die Feder oder das Schwert? – Vergnügungen in Venedig – Nach Ragusa – Der Krieg um Candia – Nach Rom – Erik trifft Christina – Ein dritter Versuch als Pilger – Piraten – Die Briefe aus Polen
Kurz vor Mittsommer 1654 kam Erik in Stockholm an, aber da war alles schon lange vorbei. Den Sommer verwandte er darauf, die Schlussabrechnung seines Inkassoauftrags zu machen und seine Schwester Sara zu besuchen, die in der Nähe von Enköping wohnte.
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