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Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)

Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)

Titel: Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Mittelalters waren die Gesten vielfältig und allgegenwärtig gewesen. Vieles davon gab es noch; auf Straßen und Plätzen, in Reichstagsgebäuden und Laufgräben, in Scheunen und Ballspielhäusern, bei Gastmahlen und an Totenbetten, auf Äckern und Reitbahnen waren stets die gleichen Gebärden zu sehen: Verbeugungen und Kratzfüße, Hütelüften und Verneigungen, ausholende Arme und winkende Hände, gebeugte Nacken und zurückgeworfene Köpfe, Handküsse und Handschläge, Ohrfeigen und Knieberührungen, hochgezogene Augenbrauen und gesenkte Augenlider, tiefe Seufzer und sanfte Fußbewegungen, Augenzwinkern und Schmollmünder. Doch es war etwas in Bewegung geraten. Die Einheit der europäischen Gestik war im Begriff auseinanderzufallen, und mehrere verschiedene Gebärdekulturen bildeten sich heraus.
    Ein geographischer Unterschied begann, sich bemerkbar zu machen. Während die Gebärden in den nördlichen und nordwestlichen Teilen Europas zurückhaltender wurden, behielten sie im Süden viel von ihrer alten Ausdrucksfülle. In den Niederlanden zeigte man mit großer Missbilligung auf die Italiener, die «mit ihrem Kopf, den Armen, Füßen, ja mit dem ganzen Körper» redeten. In den nördlichen Regionen des Kontinents gestikulierte man gemessener und vorsichtiger. Die Grenze zwischen den beiden gestischen Kulturen fiel teilweise mit der Konfessionsgrenze zwischen Katholiken und Protestanten zusammen. Das strenge Puritanertum der Reformatoren und ihr Zorn auf die geschminkten Riten der Papisten kamen auch in der Skepsis gegenüber einem allzu weitläufigen Gestikulieren zum Ausdruck. Gleichzeitig spiegelte sich darin auch der Umstand wider, dass man inzwischen immer größere Unterschiede zwischen den verschiedenen Völkern entdeckte, dass man «den Holländer», «den Italiener», «den Spanier» usw. als
Typen
zu entdecken glaubte und unterschiedliche nationale Identitäten konstruierte. So vergleicht in diesem Frühjahr der Höfling Johan Ekeblad in einem Brief an seinen Bruder, nachdem er balzende Auerhähne beobachtet hat (den Laut des Auerhahns beschreibt er im Übrigen folgendermaßen: «pelup pelup pelup peluplup lupplup klipup fujsz szszszszszes»), den Birkhahn «mit einem Franzosen, der so heftig und hitzig daherkommt», den Auerhahn mit einem Deutschen, der wortkarg «mit seinem Krug um den Hals und Bart unter dem Kinn» ankommt, und das fein singende Haselhuhn «mit einem weichlichen Engländer».
    Ein anderer wichtiger Unterschied bestand zwischen verschiedenen sozialen Gruppen. Man meinte, dass die niederen Klassen sich durch eine wildere und überladenere Gestensprache auszeichneten, während die Gebärden der verfeinerten höheren Stände strenger in der Form und formalisierter in der Ausführung seien. In von Dünkelhaftigkeit strotzenden Etikettebüchern kam es auch vor, dass man die ungehemmteren Gesten von Bauern als Illustration dafür anführte, wie man es nicht machen sollte. Viele vom einfachen Volk benutzte Gebärden waren offenbar auch recht unanständiger Natur, während andere an den Bereich der magischen Rituale grenzten, wie beispielsweise der Brauch der schwedischen Landbevölkerung, sich zu bekreuzigen, sobald Gespenster erwähnt wurden, oder ihr Tabu, sich umzublicken, wenn man sich auf eine Reise begeben hatte – denn sonst bestand das Risiko, dass man nicht zurückkehrte –, oder die Gewohnheit, stets an abgeschnittenem oder ausgekämmtem Haar zu riechen, bevor man es fortwarf – denn wenn die Vögel damit Nester bauten, bekam man sonst Kopfschmerzen. Zuweilen wurden auch Tiere als abschreckende Beispiele benutzt; unter anderem war von den Affen die Rede, die sich lausten, ohne es zu verbergen, oder ihre Bedürfnisse verrichteten, ohne Scham zu empfinden. Die Oberschicht hatte natürlich auch ihre obszönen Gesten – zum Beispiel die sogenannte
fica
oder
figa
, den zwischen Zeigefinger und Mittelfinger vorgeschobenen Daumen – aber sie waren diskreter.
    Der Adel und alle Bürger, die diesen gerne nachahmen wollten, kultivierten eine Gebärdensprache, die sich durch Eleganz, Zurückhaltung und Kontrolle auszeichnete. Die rhetorische Schulung, die zur Erziehung aller jungen Adligen gehörte, umfasste auch die Einübung zahlreicher bestimmter Gesten. In John Bulwers
Chirologia
aus dem Jahr 1644 wird eine bestimmte Gebärde genannt, die «Ich verzweifle» bedeutete, eine andere, die sagte «Ich gebe ein Bild der Trauer in meinem Inneren»; eine dritte besagte «Ich zeige meine

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