Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
Vom Netzwerk:
geführt hätte, dass das, wofür so viele auf beiden Seiten erklärten, gekämpft zu haben, nämlich die sogenannten deutschen Freiheiten, gestärkt oder geschützt worden wären. Doch all die Macht, die der Kaiser verlor, gewannen die Landesfürsten in reichem Maß zurück. Die kleineren Fürsten ergriffen nämlich die Gelegenheit beim Schopf und weiteten ihre eigene Macht aus, während sie gleichzeitig die ihrer Untertanen auf verschiedene Art und Weise einschränken ließen. Der harte Kampf für die deutschen Freiheiten hatte in Wirklichkeit dazu geführt, dass diese Freiheiten verlorengegangen waren. Wenn man in diesem scheußlichen Krieg einen Sieger küren will – außer den Gutsbesitzern, den Kriegsunternehmern und all den neureichen Landsknechten –, dann müssten es die protestantischen und katholischen Fürsten sein, die dank seiner ihre eigenen Länder wachsen und zu dem werden lassen konnten, was sie auf Reichsebene bekämpft hatten: moderne, zentralisierte Staaten. Und viele von ihnen konnten wie Brandenburg auf das an Mitteln schwache Schweden blicken und verfolgen, wie weit man es bringen konnte, wenn man nur einen modernen, gut funktionierenden und eisern zentralgesteuerten Staatsapparat und eine kraftvolle, disziplinierte und gut verwaltete Kriegsmacht aufbaute. Das Beispiel Schweden bewies, dass Krieg sich ganz außerordentlich lohnen konnte.
     
    Eriks Auftrag in Frankfurt ging Anfang 1654 endlich zu Ende. Von einer Schuld von 97 000 Reichstalern war etwas mehr als die Hälfte eingetrieben worden, was angesichts der Nachkriegssituation so viel war, wie man erwarten konnte. Deshalb sandte er eine «genaue Relation» über die geleistete Arbeit an Rehnskiöld, und dieser antwortete, dass Erik seine Tätigkeit nun abbrechen könne.
    Der Aufenthalt in Frankfurt scheint sein Fernweh noch verstärkt zu haben. Es war eine gewinnbringende Zeit gewesen, die ihm die Möglichkeit zu weiteren Studien und einer Entwicklung seines Zeichentalents gab, doch nun war er offenbar hungrig auf Eindrücke, neue Eindrücke, und auf die Freiheit, die nur das Reisen zu schenken scheint.
    Im März 1654 verließ er, von seinen Pflichten als Agent entbunden, Frankfurt am Main. Seine Bücher und andere schwere Gegenstände waren in Kisten verpackt und bei Freunden in der Stadt deponiert. Er war frei wie ein Vogel und reiste sogleich nach Wien, der Residenz des Kaisers. Die Reise ging per Boot donauabwärts, und bald überquerte er die Grenze zum Erzherzogtum Österreich. Da er daran gewöhnt war, auf schlechten Straßen durchgeschüttelt zu werden, war das Dahingleiten auf dem Wasser immer eine schöne und bequeme Abwechslung; dem Tagebuch zufolge war es «eine herrliche, liebliche und lustige Reise», und in seinen Worten spürt man die Erleichterung darüber, die Inkassoarbeit hinter sich zu lassen. Das Boot glitt dahin durch eine üppige Landschaft
    mit den schönsten Städten, Schlössern, Klöstern und Dörfern in dichter Folge, daß es eine Lust ist; dazu geht die Donau so glatt und schnell, daß man die Reise in kurzer Zeit und mit großer Kommodität zurücklegen kann.
    Erik verbrachte einige Tage in Wien «und besah alles, was remarkabel zu sehen war». Die Stadt war kleiner als Prag und lag etwas abseits der großen Handelsströme, aber mit ihren 60 000 Einwohnern war sie dennoch eine Metropole von respekteinflößender Dimension. Und während viele andere Städte im Reich durch den Krieg von Fäulnis und Verfall betroffen waren, wuchs Wien. Der habsburgische Hof hatte jetzt seinen Sitz hier, für eine Weile noch eingeschlossen in der mittelalterlichen Hofburg, doch überall in der Stadt wuchsen schöne Paläste und Kirchen, von italienischen Baumeistern in dem neuen, extravaganten Stil, später Barock genannt, in die Höhe. Es war ein autoritärer Stil, der den Siegeswillen der Enormität und der großen Einheiten über das Kleine und den Zweifel, die Kapitulation des Individualismus vor der allgemeinen Konformität ausposaunte und Ehrfurcht vor dem Großen, vor der Macht – weltlich oder geistlich – zeigte; eine visuelle Paraphrase der neuen politischen Ideen, die von Machtkonzentration und einer strikt zentralisierten Herrschaft als der Rettung vor Unordnung, Zerfall, Kriegen und Krisen sprachen. Es war zu erkennen, dass eine prächtige Erholungsphase in Wien eingesetzt hatte und dass ein neuer Typ von Träumen in den Steinen und dem Marmor der Stadt Gestalt annahm.
    In Wien teilte Erik das Logis mit einem

Weitere Kostenlose Bücher