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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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französischen Edelmann namens de la Hay. Dessen Vater war französischer Ambassadeur in Konstantinopel, und de la Hay war «mit einigen Briefen und wichtigen Aufträgen» auf dem Weg dorthin. Was jetzt geschah, ist interessant, denn es zeigt, wie flexibel und blitzschnell Erik reagieren konnte. Er beschloss auf der Stelle, de la Hay nach Konstantinopel zu begleiten, um von dort aus weiterzureisen nach Jerusalem! Zwar hatte er kein Geld für eine solch lange Reise, doch von derart banalen Tatsachen ließ er sich nicht abhalten. In Wien hatte er nämlich einige Mönche getroffen, die ihm erzählten, dass man bettelnd durch die Türkei bis nach Jerusalem gelangen könne und dass «die Türken solchen Personen gern und willig etwas für ihren Unterhalt geben». Er lernte auch einen Karmelitermönch kennen, Pater Ambrosio del Vedo, «ein Portugiese und greiser frommer Mann», der beabsichtigte, eine solche Reise zu unternehmen. In Pater del Vedo hatte er einen vortrefflichen Reisegefährten, und gemeinsam sammelten sie während einiger Märztage verschiedene Empfehlungsbriefe von Mönchsorden, von denen sie wussten, dass sie Klöster entlang des Reisewegs hatten.
    Wenngleich Pilgerreisen im 17 . Jahrhundert nicht mehr so populär waren wie in den Jahrhunderten davor und obwohl wirklich entlegene Orte wie Jerusalem sich zu immer exklusiveren Reisezielen entwickelt hatten, die nur den Reichen zugänglich waren, gab es sie doch nach wie vor, besonders in der katholischen Welt. Eine solche Reise war oft Ausdruck der persönlichen Frömmigkeit und von einer ganzen Anzahl von Regeln umgeben. Häufig unternahm man sie, um für die Erhörung eines Gebets zu danken oder um etwas zu bitten, beispielsweise die Heilung eines Gebrechens. Sie konnte auch eine einfache Glaubenshandlung sein. Sicher war Eriks Reise nach Jerusalem auch eine Pilgerfahrt; er zog nach Osten «im Namen des Herrn». Es gibt keinen Zweifel daran, dass Erik tatsächlich tief gläubig war. Etwas anderes ist auch nicht zu erwarten. In der herrschenden Atmosphäre von Unsicherheit und Zerfall gab es zwar bereits den einen oder anderen Zweifler, der das Unaussprechliche aussprach oder zumindest das Undenkbare dachte, nämlich, dass es Gott vielleicht nicht gab. Im Gefolge der neuen naturwissenschaftlichen Eroberungen tauchten auch materialistische Denkrichtungen auf, die den Keim eines modernen Atheismus in sich trugen. In Italien gab es Einzelne, die sagten: «Ich sehe die Natur, aber ich sehe nicht Gott. Gib mir einen Beweis für die Existenz Gottes, dann bin ich bereit zu glauben, daß es ihn gibt.» Auch in Frankreich gab es Menschen, die solche Ansichten vertraten, aber sie waren unerhört starker Kritik, um nicht zu sagen direkter Verfolgung ausgesetzt. Für die meisten war der Atheismus noch immer eine Unmöglichkeit, nicht zuletzt eine logische: Gottes Existenz in der Welt war eine Selbstverständlichkeit, die notwendig war, um sie überhaupt zu erklären. Erik Jönssons Frömmigkeit scheint indessen von einfachem und auf natürliche Weise undogmatischem Zuschnitt gewesen zu sein, eine Art geradlinigen und ungetrübten Küsterglaubens. Obwohl – oder vielleicht gerade weil – er an einem Krieg teilgenommen hatte, bei dem eine der strittigen Fragen eben die Religion gewesen war, ist es schwer, bei Erik die geringste Bigotterie zu entdecken. Während der letzten Jahre in Deutschland hatte er offensichtlich ohne Probleme mit Katholiken verkehrt, und es kam vor, dass er katholische Messen besuchte. (Es ist auch bezeichnend, dass er bei einer Gelegenheit im Tagebuch, ohne eine Andeutung von schlechtem Gewissen, eine kleine katholische, gegen den Protestantismus gerichtete Boshaftigkeit wiedergibt; als er nämlich 1651 den Dom in Mainz besichtigt, «von dem die Papisten sagen, daß der Staub auf den Wänden älter sei als die lutherische Religion».) Er scheint auch keine Einwände dagegen gehabt zu haben, sich mit einem Karmeliterpater zusammenzutun oder auf seinem Weg durch Kleinasien katholische Mönchsklöster in Anspruch zu nehmen.
    Hierin spiegeln sich die Stimmungen in Europa zu dieser Zeit. Der dreißig Jahre lange Krieg hatte zu wenigen guten Ergebnissen geführt, außer zu einem: Aus den schrecklichen religiösen Gegensätzen, die Europa seit der Reformation heimgesucht hatten, war die Spannung gewichen. Gewisse religiöse Konflikte gab es zwar noch, aber die Zeit der Religionskriege war vorbei, als habe die ungeheure Destruktivität des Kriegs viel

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