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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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dieser von sich selbst überzeugten, schwarz gekleideten Herren in Anspruch zu nehmen, kam deshalb einem Lotteriespiel gleich. Thomas Hobbes, der bekannte Staatsphilosoph, sagte, er ziehe «eine erfahrene alte Frau dem gelehrtesten und unerfahrenen Arzt» vor, und mit dieser Einstellung war er sicher nicht allein. Und besonders bei einer Geburt war ein Arzt häufig eine schlechtere Hilfe und eine größere Gefahr für Mutter und Kind als eine durchschnittliche Hebamme.
    Der Tod im Kindbett kam also häufig vor. Und wie hätte es anders sein können in einer Zeit, in der die hygienischen und medizinischen Begriffe unentwickelt waren, in der die Entbindung von einer Wolke von Aberglauben und Irrtümern umgeben war, in der die allerbanalsten Komplikationen den Tod zur Folge haben konnten und es nicht ungewöhnlich war, dass eine Frau im Laufe ihres Lebens zehn, fünfzehn, ja bis zu zwanzig Kinder gebar.
    Nun hatte der Tod im Wochenbett dem Kind Erik seine Mutter Dorotea genommen. Und es war nicht das letzte Mal, dass dieses allzu gewöhnliche Frauenschicksal eine der ihm am nächsten Stehenden treffen sollte.
     
    Das Geschehene war für Erik natürlich eine Katastrophe. Er scheint sein ganzes Leben lang innige Gefühle für seine Mutter gehegt zu haben, obwohl er gezwungen war, so lange getrennt von ihr zu leben – oder vielleicht gerade deshalb? Nun war er elternlos.
    Zwei Jahre blieb er in Söderköping, und mit dem ganzen Fleiß und der Kraft des benachteiligten Kindes behauptete er sich in der Schule. Und als der vielseitig begabte Junge, der er war, bekam er viele aufmunternde Klapse, nicht zuletzt für seine schöne Singstimme. Als im Mai 1638 sein Examen anstand, endete es wie erwartet mit vielen Lobesworten und Auszeichnungen. Doch wohin sollte der Zwölfjährige sich nun wenden? Mutter und Vater lebten nicht mehr. Der einzige Besitz handfesterer Art, auf den Erik hätte zurückgreifen können, der Hof in Västmanland, war auch verschwunden. Den hatte der Stiefvater zusammen mit dem Bruder des Vaters, Erik Eriksson, im Jahr zuvor mit Viehbestand, Saatgut, beweglicher Habe und allem für 850 Reichstaler an einen Adligen verkauft, und das Geld hatten die beiden Kumpane mit Beschlag belegt. Die nächste Verwandtschaft, an die er sich wenden konnte, war indessen ebendieser Onkel, und im Mai reiste der Junge nach Norrköping und von da aus auf dem Wasserweg weiter nach Stockholm, um ihn aufzusuchen.
    Der Onkel Erik Eriksson gehörte zu denen, die durch die zahlreichen Kriege und den aufgeblähten Staatsapparat ein Stück nach oben gekommen waren. Nicht nur die Krieger konnten nun, da die Kriege immer häufiger, größer und länger zu werden schienen, immer besseren Karriereaussichten entgegensehen. Um die immer zahlreicheren Armeen im Feld und die immer größeren Flotten auf See halten zu können, bedurfte es auch eines Heers von Sekretären und Buchhaltern. Dank seiner Kenntnisse in Buchführung – die er sich teilweise als Helfer von Eriks Vater angeeignet hatte – war es Erik Eriksson gelungen, in den zwanziger Jahren einen Posten als Zahlmeister bei der schwedischen Armee in Preußen zu bekommen. Solche Posten waren stets lukrativ, weil sie häufig Möglichkeiten boten, Mittel der Krone zu unterschlagen. Der staatliche Apparat steckte noch in den Kinderschuhen, die Kontrollmöglichkeiten waren häufig gering, und die neu gebildeten Institutionen waren voller Nischen und Schlupfwinkel, in denen lichtscheue Aktivitäten betrieben werden konnten. Und Erik Eriksson hatte offenbar seine Zeit dort genutzt, um seine Bezüge in einem nicht unbedeutenden Maß aufzubessern.
    Es ist unmöglich zu erraten, welche Erwartungen der zwölfjährige Erik vor der Begegnung mit seinem Onkel hegte. Der Junge hatte sich als ungewöhnlich guter Schüler erwiesen, und es wäre natürlich gewesen, wenn er eine höhere Ausbildung begonnen hätte. Diese kostete zwar etwas, aber der Onkel in seinen mittleren Jahren war wohlhabend. Er hatte zudem keine eigene Familie zu versorgen, und darüber hinaus war das Erbe von Eriks Mutter vorhanden, auf das zurückgegriffen werden konnte. Doch falls Erik Hoffnungen auf eine Weiterführung seiner Studien nährte, sollte er grausam enttäuscht werden. Der Onkel – der zu diesem Zeitpunkt mit einem wohlhabenden Tuchhändler die Wohnung teilte – hatte bereits seinen Entschluss gefasst. Sie trafen sich, und Erik Eriksson sagte, dass er, da er selbst «seine Fortune und Glück durch die Feder

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