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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Kreisvogts Privatunterricht.
    Doch nach knapp einem Jahr in Norrköping musste Erik erneut umziehen. Anna, die älteste Tochter der Familie, bei der er wohnte, heiratete einen deutschen Kaufmann in dem nahe gelegenen Söderköping. Sie mochte den begabten zehnjährigen Jungen sehr und bekam die Erlaubnis seiner Eltern, ihn mitzunehmen in ihr neues Zuhause. Diese De-facto-Adoption zeigt, wie abgeschnitten Erik von seiner engsten Familie war. Er war wie eine Münze, die jemand auf der Straße findet und in die Tasche steckt.
     
    Eriks Mutter bekam in ihrer neuen Ehe zwei Kinder. 1633 hatte sie ein kleines Mädchen geboren, Ingrid, und am Morgen des 12 . April 1636 brachte sie noch ein Mädchen zur Welt. Doch bei dieser Geburt kam es zu einer Komplikation. Das kleine Mädchen überlebte, aber Dorotea starb zwischen vier und fünf Uhr am Nachmittag des gleichen Tags.
    Es war gefährlich, Kinder zu gebären. Alle wussten dies, und die meisten scheinen die gleiche resignierte und leicht fatalistische Haltung gegenüber dem Tod im Kindbett eingenommen zu haben wie gegenüber der hohen Kindersterblichkeit; er war eine weitere der unausweichlichen Prüfungen des Lebens, eine Absicht des Schöpfers, eine Folge der Erbsünde.
    Viel konnte man nicht tun, wenn irgendetwas schiefging. Die einzigen Hilfsmittel, die eine Wehfrau oder Hebamme bei einer Entbindung zur Verfügung hatte, waren Schere und Wachsfaden für die Nabelschnur, Haken, um ein falsch liegendes Kind zu drehen und tote Föten aus der Gebärmutter zu ziehen, sowie eventuell einen primitiven Katheter; oft zwei Schalen mit Wasser, eine, um Blut und Schmutz abwaschen zu können, eine andere für den Fall, dass das Neugeborene notgetauft werden musste. Das war alles. Die zur Verfügung stehenden Medikamente waren auch nicht sonderlich entwickelt. Eine Mischung aus Safran und Aniswasser wurde als beruhigend angesehen, und andere direkt schmerzlindernde Mittel außer Wein und Schnaps gab es nicht. Geschmolzene Butter oder Öl wurden als Gleitmittel benutzt, um das Austreten des Kindes zu erleichtern. Aderlässe waren zu dieser Zeit eine Art Universalheilmittel, das bei allen erdenklichen Krankheiten oder Beschwerden zur Anwendung kam, und Entbindungen bildeten dabei keine Ausnahme. Eine Vielzahl an treibenden Tinkturen stand ebenfalls zur Verfügung, und diese spielten bei Entbindungen oft eine große Rolle. Beispiele für Mittel, die einen derartigen Effekt haben sollten, sind Zimtwasser, Bernsteinöl oder einige Tropfen Bibergeil – eine aus den Afterdrüsen des Bibers gewonnene Substanz. Andere waren weniger verfeinert: Zuweilen blies man der Entbindenden Schnupftabak in die Nase, weil man annahm, dass heftiges Niesen die Wehen beförderte. Und hinterher pflegte man mit verschiedenen reinigenden Absuden zu waschen; eine dieser Abkochungen setzte sich aus Ackermennig, Käsepappel und Veilchenkraut zusammen. Größere Risse wurden genäht, schmerzhaftes und entzündetes Gewebe konnte mit aufgewärmtem Wein oder Tinkturen aus Myrrhe und Aloe gebadet werden, oder man machte Umschläge mit Tüchern, die in warmes Schwachbier oder zerlassene Butter getunkt wurden, oder man bedeckte sie mit einem heißen Brei aus gerührtem Ei und Mandelöl.
    Die Entbindungen waren zumeist eine ruppige Angelegenheit: Die Frau sollte so fest wie möglich pressen, häufig bekam sie dabei tatkräftige Hilfe von den Umstehenden, die mitdrückten, und von der Wehfrau, die bog und zerrte, riss und zog. Zur Beschleunigung einer Entbindung, die nicht vorankam, «wendete und stürzte» man die Frau, was bedeutete, dass man sie holterdiepolter im Bett hin und her wälzte, gleichsam um das widerspenstige Ungeborene in die richtige Lage zu schubsen. Die Gebärende selbst war höchst aktiv. In der Kammer umherzutanzen oder Treppen auf-und abzulaufen, galt als gute Methode, die Wehen in Gang zu bringen. Die eigentliche Geburt erfolgte in der Regel in sitzender oder hockender Stellung. Oft benutzte man dabei einen besonderen Entbindungsstuhl, der auseinanderzunehmen war, sodass die Hebamme ihn in einem Sack zu Entbindungen mitnehmen konnte, die selbstverständlich immer im Haus der Entbindenden stattfanden. (Als Sichtschutz konnten diese Stühle mit Vorhängen versehen sein, und die Schicklichkeit gebot, dass der größte Teil der Entbindung unter dem Schutz schwerer Röcke vor sich ging.) In Ermangelung eines solchen Spezialstuhls konnte man drei gewöhnliche Sitzmöbel zu einem sogenannten Kurzbett

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