Verwüstung
einem geplanten Gefängnisausbruch aussah, konnte er genauso gut Glück haben.
»Shep? Hey, Amigo, bist du da drin?«
»Ja, Goot, ich bin hier.« Er zielte mit der Taschenlampe auf die Öffnung, blinkte zweimal und sah dann Goot über die Trümmer auf sich zukommen.
John Gutierrez war der Erste, den Sheppard vor vier Jahren für die FBI -Dienststelle in Tango angeheuert hatte, als der Mann, der für den ganzen Südosten der USA zuständig war, ihn zum FBI zurückgeholte. Goot war kubanisch-amerikanischer Abstammung, gesegnet mit zähen Genen und einem hübschen Gesicht, das Frauen, sowohl Gringas als auch Latinas, unwiderstehlich zu finden schienen. In der Zeit, die Sheppard ihn kannte, hatte er mit Dutzenden von Frauen etwas gehabt, doch die aktuelle Beziehung hielt schon sechs Monate – ein Rekord. Das Liebesleben dieses Mannes war derart stürmisch, dass Sheppard keine Ahnung hatte, wie ihm überhaupt noch Kraft für irgendetwas anderes blieb.
Goot entstammte einer Familie von Santeros, die einer geheimnisvollen kubanischen Religion angehörten, die ihren Ursprung in Nigeria hatte, eine Mischung aus Katholizismus und Heidentum. Obwohl er sie selbst nicht praktizierte, hatte es ihm sein Kontakt mit Santeria leichter gemacht, Miras Fähigkeiten zu akzeptieren, als jedem anderen, mit dem Sheppard beim FBI zusammengearbeitet hatte. Und natürlich half es, dass er und Sheppard auch enge Freunde waren und endlose Stunden damit verbracht hatten, die eigenartigeren Dinge des Lebens zu diskutieren.
»Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Hummer das geschafft haben soll.« Goot breitete die Arme aus. »Sieht eher nach einem Panzer aus.«
»Das glaube ich allerdings auch. Hast du den Sheriff gesehen?«
Goot schüttelte den Kopf. »Einer der Polizisten hat gesagt, er sei in der Küche. Frisst sich wahrscheinlich voll. Wieviele Polizisten mussten dran glauben?«
»Von Granny Moses abgesehen, weiß ich das nicht.«
Goot trat in eine der Zellen, die belegt gewesen war, und leuchtete mit seiner Taschenlampe auf die mageren Habseligkeiten einer Frau. »Haben wir die Namen der Insassen?«
»Wir haben gar nichts.« Abgesehen von einem Anruf von Sheriff Doug Emison, der ihn um Hilfe bat. Sheppard folgte Goot in die Zelle, und während der die Besitztümer der Frau durchsah, schaute auch Sheppard sich um und hob schließlich die Matratze und kippte sie auf die Seite.
Mehrere Fotos klebten darunter. Ein Farb-Polaroid zeigte einen Mann und eine Frau; sie war auf eine billige Art hübsch, mit kurz geschnittenem, lockigem, wild abstehendem blonden Haar. Ihr schmaler Körper war in extrem kurze Shorts gequetscht worden, dazu trug sie eine enge Bluse mit einem tiefen Ausschnitt. Sie musste zwischen dreißig und fünfunddreißig sein. Der Mann sah älter aus, Anfang vierzig, vermutete Sheppard, mir kurzem schwarzen Haar und einem Filmstarlächeln. Auf einem Bild standen die Frau und er im Sonnenuntergang am Strand, die Arme umeinander geschlungen. Auf einem anderen Foto befanden sie sich auf einem Balkon, die Frau hatte die Hüfte provokativ vorgeschoben, ihr Lachen war fast hörbar, und der Mann stand mit ausgebreiteten Armen da, als wollte er sie dazu einladen, sich in seine Arme zu schmiegen.
Sheppard drehte die Fotos um. Billy & ich, Bahamas, 1999, stand auf einem. Billy & ich, St. Augustine, 12/02, auf einem weiteren. Auf den anderen Fotos war nichts notiert. »Hast du was gefunden?«, fragte er Goot.
»Vielleicht etwas, woraus Mira etwas lesen kann.« Er reichte Sheppard ein Tütchen mit Ohrringen darin. »Wenn sie will.«
»Wahrscheinlich eher nicht«, entgegnete Sheppard. »Nicht, wo der Hurrikan so nahe ist.«
»Glaubt sie, er wird uns treffen?« Goot klang plötzlich besorgt. »Dass sie eine Warnung daraus machen?«
»Sie glaubt, dass ich in einen Unfall verwickelt werde, und hat darauf bestanden, dass ich ihren Lieferwagen nehme.«
»Und weil du ihren Lieferwagen hast und sie jetzt deinen Wagen fährt, wird das nicht passieren?«
»So ungefähr.«
»Du lebst in einer komischen Welt, Amigo.«
»Da hast du recht.«
»Aber was ist mit dem Hurrikan?«
Sheppard hatte keine Ahnung. Er hatte das Haus verlassen, bevor sie darüber sprechen konnten. Doch er wusste, dass es bestimmte Sätze gab, die sofort Miras geistige Aufgabenliste aktivierten, und er hätte darauf wetten mögen, dass sie im Moment gerade diese Liste durchging, zumal Annie darauf drängte, die Insel zu verlassen. »Ich weiß nicht, was Mira von
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