Verwüstung
südlicher als Andrew damals, und die Schlechtwetterzone breitete sich ein wenig weiter aus. Das Auge war auch größer, aber abgesehen davon hätte Danielle Andrews Klon sein können oder seine Tochter, zwölf Jahre später.
Statistische Angaben erschienen unten auf dem Bildschirm, sagten ihr jedoch nichts. Es war, als wäre die Verbindung zwischen ihren Augen und ihrem Hirn beschädigt worden, ausgelöscht, abgerissen.
Sie hob die Fäuste vor die Augen und drückte sie fest zu. »Pass auf, pass auf«, murmelte sie.
Aber die Worte des Sprechers schwirrten durch die Luft wie Glühwürmchen und waren schwer einzufangen. In ihren Ohren klingelte es. Ihr Magen verkrampfte sich. »… stärkt … verlangsamt … 25 Kilometer die Stunde … gegenwärtige Richtung …« Mit einem Stab deutet der Wettermann auf die Karte und folgte der roten Linie, die sich die Ostküste hochschlängelte, von Tango Key bis in den Norden nach Broward County. »… spät heute Abend …«
Tia taumelte rückwärts, sie suchte nach Halt, fand einen Stuhl, setzte sich. Als sie wieder aufschaute, war der Wettermann verschwunden und eine Reporterin tat, was sie immer taten, wenn ein Hurrikan drohte: Sie erzählte, was man tun sollte. Essen, Ausrüstungsgegenstände, Vorräte für die Tiere, wenn man evakuiert wurde, wie man das Grundstück sicherte, wo man seine Papiere verstauen sollte.
Tia lachte auf und schlug sofort die Hände vor den Mund. Genau, klar, die Ausweispapiere. Essen. Ausrüstung. Erste-Hilfe-Kästen. Als würden ein Pflaster und etwas Jod einem helfen. Schwachköpfe, Schwachköpfe, allesamt.
Jetzt ein weiteres Luftbild, Tango Key, die Wagen stauten sich meilenweit, alle wollten über die Brücke. »Früh am Morgen wurde die Brücke aus Tango gesperrt, weil die Polizei zwei Verbrecherinnen sucht, die aus dem Frauengefängnis in Tango entkommen sind.« Dann: Bilder von Crystal, von Tia. Auf ihrem Fahndungsfoto sah sie gereizt, instabil, beinahe wahnsinnig aus. »Tia Lopez, vierzig, wartete in Tangos Gefängnis auf den Beginn ihres Verfahrens. Ihr wird vorgeworfen, in Miami vier Männer ermordet zu haben. Crystal DeVries, zweiunddreißig, stand ein Verfahren wegen eines Banküberfalls in Miami vor etlichen Monaten bevor. Beide Frauen sind bewaffnet und als äußerst gefährlich einzustufen.«
Im Anschluss zeigte die Kamera einen groß gewachsenen Mann mit einem Bart, der als FBI -Agent Wayne Sheppard bezeichnet wurde. »Wir sind der Überzeugung, dass DeVries und Lopez sich noch auf der Insel befinden, höchstwahrscheinlich in einem Versteck zusammen mit demjenigen, der ihre Flucht in die Wege geleitet hat. Deswegen ist es nötig, die Ausweispapiere aller Fahrer und Beifahrer zu überprüfen, die die Insel verlassen wollen. Wir bitten für alle eventuellen Unannehmlichkeiten um Verständnis.«
Tia starrte den Mann an, Sheppard, und wusste plötzlich, dass sie ihn irgendwo schon einmal gesehen hatte. Aber wo? Wann?
Und dann fiel es ihr ein, im Dezember, als sie in Miami im Knast gesessen hatte, war Sheppard wegen eines vierfachen Mordes in der Nähe von Asheville, North Carolina, auf CNN gewesen. Vier Tote, seine Verlobte verschwunden, angeblich entführt. Das war Tia im Gedächtnis geblieben, weil der CNN -Reporter gegrinst hatte, als er berichtete, dass Sheppards Verlobte Hellseherin sei. Tia konnte sich das nicht wirklich vorstellen, ein Bundespolizist und eine Hellseherin, verlobt. Und jetzt tauchte er schon wieder auf.
Plötzlich fragte sie sich, ob man seine hellseherische Verlobte gefunden hatte und ob er sie wegen des Ausbruchs um Hilfe gebeten hatte. Tia hatte nur eine Erfahrung mit einer Wahrsagerin gemacht, einer komische Tante, die ihre Frauengruppe in Miami besucht hatte. Sie war angezogen gewesen wie eine Zigeunerin und redete New-Age-Quatsch. Wenn ich mich auf eure Vibrationen einlasse …
Sie hatte das unangenehme Gefühl, dass die Verlobte des Bundespolizisten nicht so eine Hellseherin war. Er sah einfach nicht aus wie ein Volltrottel.
Sie presste die Hände vor das Gesicht und versuchte, sich zu konzentrieren, nachzudenken, zu planen. Aber sie wusste zu viel. Wenn sie vor zwölf Jahren so viel über Hurrikans gewusst hätte, wie sie jetzt wusste, wäre sie am Freitag vor Andrew aus Miami geflohen. An dem Tag, an dem der Direktor des National Hurricane Center den Zuschauern versichert hatte, dass es zweifelhaft wäre, ob Andrew überhaupt Südflorida erreichen würde, und wundervolles Wetter
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