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Verwüstung

Verwüstung

Titel: Verwüstung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. J. MacGregor
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vorhersagte.
    Erst im letzten Jahr hatten das U.S. Army Corps of Engineers und die Federal Emergency Management Agency – FEMA – die Ergebnisse einer Untersuchung veröffentlicht, die achtzig Riesen gekostet hatte und feststellen sollte, wie eine Evakuierung Südfloridas im Falle eines katastrophalen Hurrikans ablaufen würde. Sie hatten festgestellt, dass es sechzig Stunden dauern würde – zweieinhalb Tage –, bis alle Leute ausgesiedelt waren. Sechzig Stunden, dachte sie, bloß um an einen sicheren Ort wie Orlando zu gelangen. Diese Zeit konnte halbiert werden, wenn man von Fort Pierce bis Kissimmee alle Spuren des Florida Turnpike nach Norden freigab. Aber in einer anderen Untersuchung hatte man berechnet, dass das neunundneunzig Stunden dauern würde.
    Ihr Kopf zuckte hoch. Die Zeit. Wie spät war es? Sie musste die Uhrzeit wissen.
    Sie sprang auf und lief zurück ins Wohnzimmer, sie suchte panisch nach einer Uhr. Schließlich fand sie eine im Arbeitszimmer – es war ein Uhr nachmittags. Großer Gott, ein Uhr nachmittags! Ihnen blieben keine anderthalb Tage mehr, um abzuhauen.
    Sie lief zurück in die Küche und wechselte die Sender, bis sie CNN fand. Und da war es. Der lebende Beweis. Die Luftaufnahmen von den Keys zeigten einen zähen Fluss aus Glas und Chrom, der sich über die zweispurige Straße gen Norden quälte. Sie begann zu zittern, und plötzlich war sie dort, in ihrer Wohnung in der Nähe des städtischen Zoos, vor zwölf Jahren, die Fenster mit Sperrholz verschlossen, der Wind nahm zu, der Fernseher war an, ihr Hund lief ängstlich auf und ab. Sie hatte immer noch Strom und telefonierte mit ihrer Schwester, die mit ihren drei Kindern eine Meile südlich lebte und versuchte, Tia zu überzeugen, zu ihr zu kommen, dort wäre es sicherer.
    Es hatte so vernünftig geklungen, so sinnvoll, was ihre Schwester vorschlug. Aber Tia sagte immer wieder Nein; nein, es sei alles in Ordnung, wirklich, sie und der Hund hätten Essen und Ausrüstungsgegenstände und waren von über vierhundert Nachbarn umgeben. Das Baby, ihr ungeborenes Baby, rührte und drehte sich nicht. Und dann war das Gespräch abgebrochen, der Fernseher schwarz geworden, und nur noch die Worte Notstandsübertragung standen auf dem Bildschirm, und eine zitternde Stimme sagte: »Dies ist eine Notstandsübertragung. Andrew hat bei Homestead Land erreicht. Die Windgeschwindigkeit beträgt über 250. Verlassen Sie das Haus nicht. Bleiben Sie, wo Sie sind, begeben Sie sich in einen fensterlosen Raum und hören Sie weiter die Notstandsübertragungen …«
    Der Strom fiel aus, der Hund begann zu jaulen und sprang neben Tia aufs Sofa, dann begannen die Wände in ihrer Wohnung zu zittern. Tia war aufgesprungen, sie hatte dem Hund zugerufen, schnell mitzukommen, und sie waren in das fensterlose Bad geflohen, wo sich ihre Notfallausstattung befand. Minuten später war die Welt explodiert – tobende Flugzeugturbinen, zusammenstoßende Hochgeschwindigkeitszüge, die Atombombe in Hiroshima.
    Und dann nichts mehr.
    Sie kam im Dunkeln zu sich, unter einem Haufen Schutt und Steine. Sie hatte sich um ihren Hund geschlungen oder er um sie, sie wimmerten beide. Er leckte ihr Gesicht, grub, leckte, und sie bewegte die Hände, bohrte die Finger tiefer in den Boden zwischen Trümmer, Dreck, Scheiß, sie wusste es nicht. Sie wurde ohnmächtig, kam zu sich, wurde ohnmächtig, kam zu sich, so oft, dass sie dachte, sie wäre krepiert. Irgendwann drang Luft in den Raum, wo sie und der Hund lagen, und Regen und Wind zogen über sie hinweg, durch sie durch. Schließlich gelang es ihnen gemeinsam, sich aus dem Geröll zu befreien, und sie brach in der gnadenlosen Dunkelheit zusammen.
    Als sie das nächste Mal das Bewusstsein erlangte, verriet ihr der entsetzliche Schmerz in ihrem Bauch, dass die Wehen eingesetzt hatten – zu früh, vier Monate zu früh –, und sie kreischte und schrie, doch niemand kam ihr zu Hilfe. Der Hund versuchte, sie zu beruhigen, sie warm und trocken zu halten, und dann fühlte sie Blut und Gewebe zwischen den Schenkeln. Sie wurde wieder ohnmächtig.
    Licht und Dunkel schmolzen ineinander. Sie wusste nicht, wie lange sie und der Hund dort gelegen hatten. Irgendwann schlich der Hund davon, um etwas zu fressen zu suchen, und sie kroch vor Durst auf allen vieren umher. Sie fand einen feuchten Stein und leckte daran, doch das reichte nicht, sie brauchte mehr, mehr! Schließlich fand sie eine umgekippte Tiefkühltruhe, eingeklemmt in Schutt und

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