verwundet (German Edition)
sie wieder ins Wohnzimmer kam und eine kleine Lampe anknipste, fragte er: „Wie spät ist es?“
„Halb Neun“, sagte sie und lächelte ihm zu. „Ich habe ziemlichen Hunger. Wollen wir uns einen Salat machen?“
„Gerne.“ Er erhob sich und begann, das Kaffeegeschirr zusammenzuräumen. „Mein Vater mochte Mozart auch sehr, noch lieber allerdings war ihm Beethoven.“
„Vielleicht entsprach Beethovens Grundstimmung seiner eigenen mehr als die Mozarts.“ Sie half ihm bei dem Geschirr. „Beethovens Vater war Alkoholiker und dazu auch noch sehr streng. Er wollte aus dem Sohn so ein Wunderkind wie Mozart machen, den er sehr bewundert hat. Wenn Freunde zu Besuch waren, hat er den kleinen Ludwig mitten in der Nacht aus dem Bett gezerrt, um ihn vorspielen zu lassen, und das nur, um zu demonstrieren, wie begabt sein Junge war. Dadurch hat Beethoven an Konzentrationsschwäche gelitten, war schlecht in der Schule und wurde vom Vater bereits mit elf Jahren aus der Schule genommen. Die Mutter war schwächlich und krank und kam nicht gegen den Vater an. So etwas hat natürlich Folgen, so dass Beethovens Grundstimmung zeitlebens wohl eher düster war.“ Gemeinsam gingen sie in die Küche. „Auch um seine sonstigen Bedürfnisse wurde sich anscheinend nicht groß gekümmert. Man vermutet heute, dass Beethoven mit etwa fünf Jahren an einer Mittelohrentzündung gelitten hat, die unbemerkt und somit unbehandelt geblieben ist und als eine der Ursachen seiner späteren Taubheit gilt.“
„Schrecklich! Und das ausgerechnet bei einem Musiker.“
Angelika nahm eine Gurke, mehrere Tomaten und einen Eisbergsalat aus dem Kühlschrank. „Was möchtest du lieber machen? Dies hier schneiden oder den Schafskäse und die Oliven?“
„Letzteres.“ Mit einem jungenhaften Grinsen fügte er hinzu. „Da kann ich besser naschen.“
Sie lächelte und holte einen Fetakäse und eine Packung Oliven aus dem Kühlschrank.
Am liebsten hätte er sie umarmt. Er begnügte sich jedoch damit, zu sagen: „Das Musikhören mit dir war wunderschön.“ Sie wandte sich ihm zu und ihr Blick irritierte ihn. „Was ist?“
Sie gab ihm einen Kuss auf den Mund und sagte leise: „Was immer dein Vater mit Euch gemacht hat. Dafür, dass er bei dir die Liebe zur Musik erweckt hat, bin ich ihm sehr dankbar.“ Als sie sah, dass er die Stirn runzelte, fuhr sie fort: „Es ist ein großes Geschenk, das er dir gemacht hat.“
„Ich will nichts von ihm haben“, stieß er zwischen seinen Zähnen hervor.
„Wir sind alle sehr widersprüchliche und brüchige Wesen und ob du es nun wahrhaben willst oder nicht: Du hast diese Empfindungsfähigkeit unter anderem von ihm.“ Sie legte ihre Hand auf seinen Mund und streichelte ihn. Er küsste ihre Finger und fragte. „Von wem hast du denn deine Liebe zur Musik.“
„Von Herbert.“
„Ach. Ich habe gar keine Platten bei ihm gesehen.“
Sie drehte sich zur Spüle um und begann, den Salat zu waschen. „Du kennst ja nicht seine ganze Wohnung. Er hat ein Musikzimmer und eine riesige Schallplattensammlung.“
Er nahm sich ein Brett, holte ein Messer aus einer Schublade und fing an, den Fetakäse und die Oliven auszupacken, um sie zu schneiden.
„Damals hatte er eine wesentlich kleinere Wohnung. Wir haben oft in seinem Atelier Musik gehört, während er gemalt hat. Meine Mutter hatte keine Beziehung zu Musik. Ich habe sie also erst durch ihn schätzen gelernt.“
„Meintest du das mit Erziehung .“
„Ja. Er hat meinen Horizont erweitert, hat mich mit den Werken der Kunst, der Philosophie, überhaupt mit den Geisteswissenschaften bekannt gemacht, denn bis dahin hatte ich nur Romane gelesen.“
„Er war also wirklich ein Glücksfall für dich.“
„Ja, in jeder Beziehung.“
„Ich finde ihn auch sehr interessant und habe mich etwas darüber gewundert, dass er mich eingeladen hat. Schließlich kannte er mich ja nicht.“
„Erstens lernt man ja jemanden dadurch kennen, dass man mit ihm Zeit verbringt, und zweitens hat er ein untrügliches Gespür für Menschen.“
„Wie meinst du das?“
Sie wandte sich zu ihm um. „Er hat erfasst, dass du ein sehr interessanter Mensch mit sehr viel Tiefe und Gefühl bist.“
Überrascht starrte er sie an.
Ihr Blick war eindringlich. „Ich weiß, dass du dir dessen nicht bewusst bist, aber genau so ist es.“
Er wandte sich dem Schneidebrett zu, räusperte sich und fragte. „Soll ich die Oliven halbieren?“ Als sie keine Antwort gab und sich auch nicht
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