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verwundet (German Edition)

verwundet (German Edition)

Titel: verwundet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kühn
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hat.“
    „Ich finde das wunderbar.“
    „Wieso?“ Verständnislos sah er sie an.
    „Weil du das nutzen und auf diese Art Erlebnisse verarbeiten könntest.“
    „Ach, du lieber Himmel. Ich habe es bisher vermieden, diese Musik zu hören, und ich glaube, das ist auch besser so.“
    „Schade. Ich wünschte, viele meiner Patienten hätten diese...“
    „Ich bin aber nicht dein Patient“, sagte er abweisend. „Nein, das bist du nicht. Dennoch darf ich dich doch als Mensch darauf hinweisen, dass so etwas ein Vorteil ist, oder nicht?“
    Unschlüssig kaute er auf seiner Unterlippe herum.
    Sie hob ihre Hand, legte sie auf seinen Mund und streichelte seine Lippen. Erst zuckte er zurück, dann aber küsste er ihre Fingerspitzen. Schließlich sagte er mit heiserer Stimme. „Auf welche Musik hättest du denn Lust?“
    „Rachmaninow?“
    Als er nickte, fragte sie: „Zweites Klavierkonzert?“ Wieder nickte er, und als sie sich erheben wollte, sagte er: „Ich mach das schon.“ Er stand auf, ging zum Plattenspieler und packte die Platte vorsichtig in die Hülle zurück. Dann bückte er sich und legte den Kopf schief, um im unteren Fach die Schallplatten durchzusehen. Schließlich hatte er sie gefunden und zog sie heraus. „Ah, Vladimir Ashkenazy. Schön! Meine Platte ist leider kaputt gegangen, und ich habe es bisher nicht geschafft, sie wieder zu ersetzen.“ Vorsichtig legte er sie auf, schaltete den Plattenspieler wieder ein und schloss den Deckel. Etwas unentschlossen wandte er sich Angelika zu, die ihn aufmerksam ansah und ihm dann mit einer einladenden Handbewegung bedeutete, dass er sich zu ihr setzen sollte. Sein Herz klopfte hart in seiner Brust. Er schloss die Augen und versuchte, sich auf die Musik zu konzentrieren. Es gelang ihm nur sehr schlecht, denn allzu sehr fühlte er ihre Gegenwart und den Wunsch, dass sie ihn wieder berühren möge. Doch nach einiger Zeit trugen ihn die Töne davon, und plötzlich war er wieder fünfzehn Jahre alt. Clärchen und seine Mutter waren nicht zu Hause, und sein Vater war in das Kinderzimmer gekommen und hatte ihm gesagt, dass er ihm eine neue Platte vorspielen wolle, und so war er ihm ins Wohnzimmer gefolgt. Sein Vater hatte nichts weiter gesagt, sondern nur die Platte aufgelegt und anschließend ganz still und in sich selbst versunken dagesessen. Harald hatte sein Gesicht betrachtet, und nach einer ganzen Weile hatte sein Vater aufgesehen, und sein Blick war ernst gewesen und zugleich forschend, als hätte er wissen wollen, wie ihm die Musik gefiel. Harald hatte genickt, der Vater hatte fast unmerklich gelächelt und dann wieder seine Lider geschlossen. Es war einer der Augenblicke, in denen er sich dem Vater ganz nah gefühlt hatte. Als Angelika ihn umarmte, erwachte er aus seinen Gedanken. Erschrocken sah er sie an, fühlte, dass sein Gesicht nass war, und merkte, wie sein Körper sich wieder anspannte, doch mit sanftem Druck brachte sie ihn dazu, sich an sie anzulehnen, und so ließ er sich langsam sinken. Er versuchte, seine Tränen zurückzuhalten, doch die Musik war zu aufwühlend. Hilflos lag er mit geschlossenen Augen auf ihrem Schoß und war gefangen in seinen widersprüchlichen Gefühlen, denn der eine Teil von ihm wollte flüchten, doch der andere genoss ihre streichelnde Hand im Haar. Mit ihrer anderen Hand begann Angelika, sein Gesicht zu liebkosen. Sie streichelte über seine Stirn, seine Wangen, seine Lippen, bis er ihre Hand ergriff und ihre Handfläche küsste und sie anschließend ihre Hand auf seine Brust legte, wo er sie fest, jedoch ohne Druck, umklammert hielt. Irgendwann schreckte er hoch und sah in Angelikas Gesicht. Ruckartig setzte er sich auf und starrte sie an, suchte nach einem Anzeichen für Verstimmung, Ärger oder Geringschätzung, doch ihr Blick war liebevoll.
    Verlegen murmelte er: „Entschuldige bitte, ich war wohl übermüdet!“
    Sie lächelte. „Dafür gibt es keinen Grund.“ Sie hob ihre Hand und fuhr ihm durch die Locken. „Eine wunderschöne Komposition, in der Rachmaninows ganze Schwermut steckt.“ Als sie seinen fragenden Blick sah, fuhr sie fort: „Er hatte ohnehin nicht gerade als Frohnatur gegolten, und als seine Erste Sinfonie beim Publikum und den Kritikern durchgefallen war, war er in eine Schaffenskrise geraten, die schwere Depressionen ausgelöst hat. Er hörte auf zu komponieren, und erst ein damals sehr bekannter russischer Psychiater half ihm durch Hypnose, sein angeknackstes Selbstvertrauen wiederzugewinnen.

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