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verwundet (German Edition)

verwundet (German Edition)

Titel: verwundet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kühn
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Leben ist ein einziger Scherbenhaufen, dachte er, hängte das Handtuch an den Haken und verließ die Küche. Sie folgte ihm ins Wohnzimmer. „Du wirkst so unglücklich, Harald.“
    „Hast du eine Ahnung, was ich Herbert zum Geburtstag schenken könnte?“
    „Warum weichst du mir aus?“
    Deprimiert ließ er sich auf die Couch fallen. „Ausweichen? Ich habe heute wie ein Baby in deinem Schoß geweint! Was willst du denn noch?“
    Sie setzte sich neben ihn. „Erstens bist du deshalb kein Baby, und zweitens weiß ich nicht, warum du geweint hast.“
    „Was würde das denn bringen?“ Er stützte den Kopf in die Hände.
    „Du zerbrichst daran, wenn du es nicht endlich raus lässt!“
    Er riss seinen Kopf hoch. „Zerbrechen? Ha! Mich zerbricht er nicht! Diesen Gefallen tue ich ihm nicht. Weißt du, dass er, der Musik so geliebt hat, sie seiner Tochter verwehrt hat? Dass wir Angst hatten, heim zu gehen? Dass wir jeden verdammten Tag zitterten, mit was für einer Laune er nach Hause kommen würde? Dass wir allein schon unter seinen Blicken erstarrt sind?“ Er sah Angelikas mitfühlendes Gesicht, fühlte ihre Hand auf seinem Bein. „Weißt du, was er immer gesagt hat, wenn er Clärchen mit seinen riesigen Pranken ins Gesicht schlug?“ Er imitierte die Stimme seines Vaters, die er immer noch im Kopf hatte, unbarmherzig und hart. „ Nimm die Hände runter! Nimm die Hände runter! Nimmst du die Hände runter !“ Wenn sie es nicht getan hat, hat er auf sie eingeprügelt und immer wieder diese Worte. Wie oft höre ich sie noch in meinen Träumen. Nimm die Hände runter! Wenn sie dann schließlich die Hände runter nahm, hat er ihr ins Gesicht geschlagen. Sie konnte es nie richtig machen. Hat sie die Hände runter genommen, hat er sie geschlagen, hatte sie sie nicht unten, hat er sie auch geschlagen!“ Die Tränen liefen an seinem Gesicht herunter. „Sie war so klein, so zerbrechlich, meine Schwester!“
    Als er Angelikas Arme um sich fühlte, schüttelte er sie ab und erhob sich. „Ihr kleiner Kopf flog unter seinen Schlägen hin und her wie ein Punchingball. Einmal hat ihr Ohr nur noch aus einem einzigen Bluterguss bestanden. Wie Clärchen mir erzählt hat, hat die Lehrerin in der Schule danach gefragt, doch sie hatte sie angefleht, es nicht dem Jugendamt zu melden, weil sie so große Angst hatte! Diese feige Schlampe hat auch noch auf sie gehört.“ Er rieb sich über die Stirn. „Ach, wie oft haben wir in unserem Kinderzimmer gelegen und uns gefragt, ob es etwas nützen würde, zur Polizei zu gehen. Aber wir haben nicht an Hilfe geglaubt.“ Er wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, lief hin und her und blieb schließlich schwer atmend stehen. „Er hat sie umgebracht, und ich hoffe, dass er elendig verreckt!“ Er machte eine kleine Pause und fuhr dann fort. „Na ja, ich verdiene es auch nicht anders, denn schließlich habe ich sie auch im Stich gelassen!“
    „Wie kommst du denn darauf?“
    Er sah in Angelikas bestürztes Gesicht. „Wie ich darauf komme? Wer ist denn mit sechzehn aus dem Haus gegangen? Wer hat sie denn zurückgelassen? Doch wohl ich!“
    „Du warst zu jung, Harald.“
    Er zerrte an seinen Locken. „Ach Quatsch! Ich hätte auf sie aufpassen, sie vor ihm beschützen müssen!“
    „Nein, verdammt!“
    Erstaunt sah er sie an. Er hatte sie noch nie fluchen hören. Sie hatte sich erhoben und stand mit funkelnden Augen vor ihm. „Du lädst dir hier die Schuld deiner Eltern auf die Schultern. Begreifst du das nicht?“ Sie runzelte die Stirn. „Im Übrigen, du redest immer nur von Clärchen. Was ist mit dir? So wie du deinen Vater schilderst, ist es unwahrscheinlich für mich, dass er nur ein Kind geschlagen hat!“
    Verbittert stieß er hervor. „Als Jugendlicher habe ich eine Brille getragen. Es mussten einige Brillengestelle daran glauben, bevor er damit begonnen hat, mir zu befehlen: „Nimm die Brille ab!“
    „Mein Gott!“ Sie schlug die Hände vors Gesicht, sah ihn wieder an. „Und da meinst du, du hättest Clärchen beschützen sollen?“
    „Ich war groß genug!“
    „Aber hilflos, Harald! Deine Mutter hätte sie beschützen müssen, nicht du!“
    „Ach, ist doch egal! Ich will nicht mehr darüber reden.“ Er wandte sich ab. „Ich werde jetzt gehen!“
    „Warum?“
    „Warum?“ Er drehte sich zu ihr, starrte sie an. „Weil ich dich als Frau will, Angelika, und nicht als Therapeutin.“
    „Ich bin jetzt nicht Therapeutin, sondern Mensch, Harald. Ganz einfach Mensch

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