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verwundet (German Edition)

verwundet (German Edition)

Titel: verwundet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kühn
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erzählen.“
    Auch Frau Dr. Dunkelmann erhob sich nun. „Das ist schön, Frau Kaufmann. Dann können auch Sie vielleicht die Sache für sich abschließen.“ Sie reichte Lydia die Hand. „Frau Kaufmann, ich wünsche Ihnen alles Gute. Wenn Sie noch Fragen haben, können Sie sich jederzeit an mich wenden.“
    „Vielen Dank für alles, Frau Dr. Dunkelmann, und auch für Sie alles Gute.“
    *
    Als Harald Lisas Zimmer betrat, blieb er verblüfft stehen. „Du siehst gut aus“, sagte er dann „und richtig hübsch.“
    Lisa flog in seine Arme. „Harald!“ Sie lachte und weinte gleichzeitig. „Du bist es wirklich?“
    „Na, wer denn sonst? Mein Geist vielleicht? Dich hingegen musste ich ja richtig suchen. Warum hast du nicht geschrieben, dass du jetzt auf der Offenen Station liegst?“
    „Ich wollte dich überraschen!“ rief sie übermütig und drehte sich mit ihm im Kreis. Sie schnatterte vor sich hin und stellte ihm ein Dutzend Fragen. Harald freute sich, dass sie so munter war und dass sie so gut aussah. Sie hatte zugenommen, ihr Haar fiel glänzend fast bis zu ihren Hüften hinab, und sie sah gesund aus. Jetzt lief sie um ihn herum. „Du siehst aber auch verdammt gut aus. Schade, dass du mich nie wolltest.“
    „Das wäre ja glatter Inzest.“
    „Was hast du gesagt?“
    „Na, bist du nicht meine kleine Schwester, die, die immer so an meinen Nerven sägt?“
    „Ach, Harald!“ Sie fiel ihm erneut um den Hals.
    Später stand er mit ihr im Beschäftigungsraum und sah sich ihre Bilder an. „Mensch Lisa! Du hast ja riesige Fortschritte gemacht.“ Er betrachtete eines der Aquarelle. „Zeigt das eine deiner Erinnerungen?“
    Lisa nickte stumm.
    Harald hielt das Bild ins Licht. Es war ein großer Saal darauf zu sehen mit lauter Gitterbetten, in denen Säuglinge lagen.
    „Erzählst du mir davon?“ fragte Harald.
    „Das sind Glaswände. Ich habe immer noch Schwierigkeiten, sie darzustellen. Der untere Teil der Wände war weiß, keine Mauer, irgendwie ein ähnliches Material wie Türen, aber dünner. Ab ungefähr einem Meter aufwärts waren sie aus Glas, und zwar rundherum. Wahrscheinlich, damit man jederzeit sehen konnte, ob alles in Ordnung war. Um den Raum herum gab es andere Stationen.“ Sie zeigte auf die untere, die rechte und die linke Seite. „Die Gänge hier gehörten zu der Station und diese zu einer anderen. Ich war damals auf der Station für die älteren Kinder und habe oft hier“, sie zeigte auf das Bild, „gestanden und habe die Säuglinge betrachtet. Die Schwestern sagten mir, dass ich auch dort gelegen hätte und zwar ziemlich lange.“
    „Standest du deshalb dort?“
    „Die Babys taten mir leid. Viele haben geweint, ohne dass sich jemand darum gekümmert hätte. Ich hätte sie gerne getröstet, aber ich durfte nicht hinein.“ Langsam lösten sich Tränen aus ihren Augen. „Wahrscheinlich habe ich dort auch oft geweint, ohne dass sich jemand darum geschert hat.“
    Harald, der bisher auf das Bild geschaut hatte, hörte an ihrer Stimme, dass etwas nicht in Ordnung war. Als er sah, dass ihre Augen feucht waren, stellte er das Bild zur Seite und legte seine Arme um sie. Sie lehnte ihren Kopf an und weinte, während er über ihre Haare streichelte.
    Sie schluchzte. „Manchmal denke ich, ich bin darüber hinweg, und dann plötzlich kommt wieder die Trauer und die Sehnsucht.“
    „Das kenne ich gut, Lisa“, sagte er leise und drückte sie an sich.
    „Ich habe doch niemanden.“
    „Was ist mit Lydia?“
    Heftig schüttelte sie den Kopf.
    „Sie liebt dich.“
    „Nein, sie...“
    Er wunderte sich, warum sie plötzlich aufhörte zu reden. Er wandte sich zur Seite und sah, dass Angelika den Raum betreten hatte.
    Sie kam näher und sagte. „Entschuldigung, ich wollte nicht stören.“ Als Harald ihren Augen begegnete, verdunkelte sich etwas in seinem Inneren. Sie wandte sich nun an Lisa. „Ich wollte eigentlich etwas mit dir besprechen, aber das können wir ein anderes Mal tun.“
    „Haben Sie etwa Nachricht von dem Internat?“
    „Ja, Lisa. Sie werden dich aufnehmen.“
    Lisa schluckte und ließ sich auf einen Stuhl sinken. „Wir sprechen nachher weiter, Lisa.“ Sie nickte ihnen noch einmal zu und verließ den Raum.
    Harald nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu Lisa. „Was für ein Internat?“
    „Ich kann dort mein Abi nachmachen, und es gibt dort psychologische Betreuung. Ich werde ja bald entlassen.“
    *
    Harald zögerte, gab sich dann aber einen Ruck und klopfte an

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