verwundet (German Edition)
inzwischen wie eine Schwester für Sie?“
„Das stimmt.“ Harald nickte.
„Gut. Kommen wir auf Angelika zurück. Warum sind Sie auf die Toilette geflohen, statt abzuwarten, was sie wollte?“
Er stöhnte. „Sie geben wohl niemals Ruhe.“
„Das ist mein Job. Also?“
„Ehrlich gesagt, denke ich immer noch, dass sie...“, er fuhr sich durch die Locken, „dass ich... , na ja, ich kann mir nicht vorstellen, dass sie mich liebt. Selbst, wenn sie je etwas für mich empfunden hat, habe ich es ganz sicher zerstört.“
„Das sollten Sie herauszufinden versuchen und nicht schon vorher den Kopf in den Sand stecken.“
*
***
F rau Kaufmann, ich hielte es nicht für klug, wenn Lisa zu Ihnen zurückkehren würde.“ Frau Dr. Dunkelmann hielt Lydia einen Prospekt hin. „Es gibt zwei Autostunden von hier entfernt eine Schule mit angegliedertem Internat und psychologischer Betreuung, in der Lisa ihr Abitur nachmachen könnte. Lisa hat sich in den letzten Wochen dazu entschlossen.“
Lydia nahm den Prospekt und sah ihn sich an. Er zeigte ein weißes Stuckgebäude, umgeben von einer schönen Landschaft, Unterrichtsräume, die Zimmer, in denen die Internatsschüler wohnten, die Sportanlagen und Aufenthaltsräume. Es machte alles einen freundlichen und gepflegten Eindruck.
„Lisa braucht Abstand zu Ihnen. Sie ist zwar therapiert, aber ihre Wunde wird niemals vollständig heilen. Das bedeutet, dass die Gefahr besteht, dass sie immer in ihre kindlichen Verhaltensmuster zurückfällt und alles wieder aufgibt, sei es das Malen, sei es ihr Ziel, das Abitur nachzuholen und zu studieren. Außerdem wäre es gut für Lisa, wenn sie neue Menschen, vor allem auch ihres eigenen Alters, kennenlernen würde. Im Moment hat sie ohnehin noch Berührungsängste, was Sie angeht. Wenn ein wenig Zeit verstrichen ist und sie sich in das Internat eingelebt hat, kann sie Sie besuchen. Sie sollte jedoch nicht mehr bei Ihnen wohnen. Lassen Sie ihr Zeit, bis sie von sich aus auf Sie zukommt.“
Lydia nickte. Sie wusste, dass die Ärztin Recht hatte. Bei ihren sporadischen Besuchen war Lisa stets scheu und zurückhaltend gewesen.
Frau Dr. Dunkelmann sprach weiter: „Frau Rosenfels ist eine patente Frau. Sie leitet die Schule und das Internat mit viel Umsicht. Es sind dort nur sehr engagierte und exzellent ausgebildete Pädagogen beschäftigt, die von der Schule verpflichtet sind, sich stets weiterzubilden. Ich habe schon einige Patientinnen dorthin geschickt, denen es allen gut gefallen hat. Ich habe sowohl zu Frau Rosenfels als auch zu Frau Kramer, ihrer Stellvertreterin, einen guten Kontakt, habe mit beiden ausführlich über Lisa gesprochen und die Probleme geschildert. Es wird eine schwere Zeit für Lisa werden, aber nicht schwerer als das, was sie bisher in ihrem Leben durchgestanden hat. Sie wird es schaffen! Da bin ich ganz sicher!“ Als Lydia nickte, fuhr sie fort. „Ich warte nur noch auf die Zusage der Schulbehörde.“
„Wer übernimmt denn die Kosten für Lisa.“
„Der Staat. Ansonsten habe ich für Lisa einen Antrag auf Waisenrente gestellt. Es wird nach dem Vater geforscht, und je nachdem, was dabei herauskommt, steht ihr entweder eine Halb- oder sogar Vollwaisenrente zu.“
„Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt.“
„Man hat Sie nicht darüber aufgeklärt?“
„Nein, aber ich habe natürlich auch nie danach gefragt.“ Frau Dr. Dunkelmann nickte. „Die Rente wird bis zum Ende des fünfundzwanzigsten Lebensjahres gezahlt. Der Antrag gilt rückwirkend und setzt beim Tod der Mutter ein. Es werden also Nachzahlungen erfolgen. Wenn Sie für Ihre Kosten...“
Lydia schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Da steht alles Lisa zu.“
Die Psychiaterin nickte. „Es wird ein Konto für diesen Zweck eingerichtet.“
Nach kurzem Schweigen fragte Lydia zögernd: „Hat Lisa eigentlich noch mit Herrn Wiebke Kontakt?“
„Das sollten Sie sie lieber selber fragen.“
„Ja, natürlich, Sie haben Recht.“ Sie lächelte. „Er hat mir übrigens einen langen Brief geschrieben, in dem er sich für alles entschuldigt hat. Es war ein sehr netter Brief, in dem er mir ein wenig von seiner Kindheit und seiner Schwester erzählt hat. Offensichtlich hatte auch er keinen guten Start ins Leben. Jedenfalls hat er sich bei mir bedankt. Es war ein Abschiedsbrief, in dem er mir alles Gute gewünscht hat.“ Sie stand auf. „Ich bin froh, dass ich mich doch nicht in ihm getäuscht habe. Das wollte ich Ihnen noch
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