Verzaubert

hindurch. Es war nicht ganz so schlimm, wie selbst transloziert zu werden, aber dennoch ekelhaft.
    »Ich hasse es!«, sagte Golly.
    Dixie klammerte sich an Golly, die ihr versicherte: »Es ist in einer Minute vorbei, Honey, keine Sorge.«
    Die glühende Luft schien auf dem Boden zwischen mir und Hieronymus eine feste Gestalt anzunehmen – und zwar so nahe bei mir, dass es mir fast den Fuß verbrannte. Ich wich ein paar Schritte zurück. Als die Masse fester wurde, winkte Hieronymus sie energisch zu sich hin, und die glühende Form bewegte sich auf ihn zu.
    »Nein!« Ich stürmte nach vorn, da mir klarwurde, was er vorhatte. Aber ich konnte die Gestalt nicht berühren, sie war zu heiß. Trotzdem versuchte ich es erneut – und prallte ein weiteres Mal an der unsichtbaren Wand ab. Wer auch immer gerade hier ankam, befand sich nun auf der anderen Seite der Barriere. Allein mit Hieronymus.
    Als das Glühen nachließ, erkannte ich den Neuankömmling. »Lysander!«, rief ich, doch er rührte sich nicht.
    Er musste nach mir in die Requisitenkiste gestiegen sein. Vermutlich um Dixie und mich zu retten. Mir gefror beinahe das Blut in den Adern. Wo war Max? War er noch immer besinnungslos? Oder gerade dabei, Lysander zu folgen und sich in dieselbe missliche Lage zu bringen?
    Lysander japste, würgte und begann dann mühsam, aber gleichmäßig zu atmen. Seine Augenlider flatterten, und er bewegte die Finger, hatte allerdings noch keine Kontrolle über seinen Körper.
    Hieronymus grinste mich an. Es war ein makabres, arrogantes Grinsen. »Ich habe eine gefunden.«
    »Nein!«, schrie ich.
    Er trat Lysander gegen den Kopf, fest genug, dass der Zauberer noch einige Minuten besinnungslos bleiben würde. Dann beugte er sich hinunter, packte ihn unter den Armen und schleifte ihn um die Ecke außer Sichtweite.
    »Nein, Hieronymus! Lysander!
Stopp!
«
    »Was sollen wir jetzt tun?«, fragte mich Dixie.
    »Weshalb nimmt er ihn mit nach da hinten, wo wir ihn nicht sehen können?«, erwiderte ich.
    »Dort steht der Altar, den er gebaut hat, um darauf die Jungfrau zu opfern und Avorapek zu beschwören.« Samson schwieg einen Moment lang und fügte dann hinzu: »Dieser Altar ist irgendwie cool. Echt kultig. So etwas in der Art könnte eine gute Kulisse für unsere Show abgeben, wenn Delilah und ich das nächste Mal eine neue … Oh.« Offenbar dämmerte ihm, dass es vielleicht kein nächstes Mal gab.
    Wir hörten Sprechgesänge. Für mich klang das nicht wie Latein. Eventuell Altgriechisch? Ich wusste es nicht.
    »Vielleicht kriegt er den Zauberspruch ja nicht richtig hin?«, sagte Golly.
    »Das können wir nur hoffen«, entgegnete ich. »Aber wenn du eine Jungfrau auf einen Opferaltar geschnürt hast, könnte ich mir vorstellen, dass ein menschenfressender Dämon über deine falsche Aussprache hinwegsieht.«
    Hinter mir begann Alice zu knurren. Ich warf einen Blick über meine Schulter und sah, dass die Tigerdame nervös auf und ab ging. Als ich mich wieder dem Tunnel zuwandte, tanzten dort Schatten an den Wänden. Hieronymus zündete offenbar Kerzen an, die alles in flackerndes Licht tauchten. Allmählich breitete es sich auf dem Boden aus, und die Schatten an den Wänden bekamen schärfere Konturen. Während Hieronymus anfing zu singen, erkannte ich nun, dass er sich rhythmisch durch den Raum bewegte.
    »Du singst schief!«, rief ich. »Der Dämon wird zuerst dich fressen – falls er überhaupt auftaucht.«
    »Ich glaube nicht, dass Dämonen ihre Beschwörer fressen«, murmelte Samson. »Oder?«
    »Woher soll ich wissen, was Dämonen machen?«, antwortete ich. »Aber ich würde nicht darauf wetten, dass sich Avolapek in einer neuen Umgebung genauso verhält wie geplant.« Ich deutete erklärend auf Alice.
    »Ich finde, in Anbetracht der Umstände ist sie sehr umgänglich«, erwiderte Sarah.
    Ich sah einen großen Schatten an der Wand. Etwas bewegte sich: Lysander versuchte sich aufzurichten. Dann schlug Hieronymus ihn eiskalt erneut bewusstlos.
    »Du Feigling!«, schrie ich. »Einen halb besinnungslosen, alten Mann zu schlagen. Vergreifst du dich als Nächstes an Mädchen?«
    »Er
hat
mich geschlagen«, sagte Dixie.
    »Du dreckiger Mistkerl!«, schrie ich. »Warum kommst du nicht rüber und versuchst es mit mir aufzunehmen, du schmieriger, stinkender, schwächlicher, unbedeutender, kleiner Speichellecker?« Es funktionierte nicht. Hieronymus sang unbeirrt weiter, ohne auch nur zu stocken. »Wir müssen seine Konzentration stören«,