Verzeihen
verwirrende und widersprüchliche Aussagen machten.
Sonja drehte sich um. Hinter ihr stand die Bedienung mit einem Tablett voller schmutzigem Geschirr.
»Was ist, Susi?«, fragte Sonja.
»Die Frau, die hab ich schon mal gesehen, die war hier.«
»Wann?«, sagten Sonja, Süden und Heuer gleichzeitig.
»Noch mal!«, sagte Susi.
»Wann war die da?«, fragte Süden.
»Gestern«, sagte Susi. Reichte das Tablett einem der Köche hinter dem Tresen. Und nahm das Bild. »Nein, vorgestern, am Samstag, genau, am Samstag, sie hatte ’ne Sonnenbrille auf.
Das war die, ganz sicher, da ist sie gesessen, da wo du sitzt.«
Sie meinte Tabor Süden. »Und dann hat ein Typ sie abgeschleppt.«
Sie wollte noch etwas sagen. Dann bemerkte sie die Blicke der drei Kommissare. Und begriff sofort, was sie von ihr erwarteten.
»Ich hab zu tun gehabt, ich hab mir den nicht gemerkt«, sagte sie.
»Hatte er eine Glatze und einen Vollbart?«, fragte Heuer. Es war ein Versuch ins Blaue.
Susi überlegte. »Tako, gib mir mal meine Zigaretten bitte. Danke.«
Einer der beiden Köche hielt ihr die Packung hin. Susi zog eine Zigarette heraus. Und Tako legte die Schachtel wieder unter den Tresen.
»Bitte Feuer, Herr Heuer.«
Er hielt ihr das brennende Feuerzeug hin.
»Nein«, sagte sie. Und blies den Rauch schräg aus dem Mund.
»Er hatte keine Glatze und keinen Vollbart.« Der Maler kam also nicht in Frage.
»Der war groß, breite Schultern, ziemlich groß sogar. Und er hatte einen Koffer, der stand dauernd im Weg hier.«
»Kannten sich die beiden?«, fragte Süden. Er hob das leere Glas.
Und Tako zapfte ein frisches Bier.
»Keine Ahnung«, sagte Susi.
»Der Mann kam von einer Reise zurück«, sagte Sonja.
»Möglich.« Susi legte das Bild auf den Tresen. »Die Frau war extrem betrunken, sah nicht gut aus, die ist hingefallen, hier, direkt hier, zack, voll auf den Boden geknallt. Und dann ist sie raus, und der Typ hinterher.«
»Hast du hören können, was sie geredet haben?«, fragte Heuer.
»Ja, jedes Wort«, sagte Susi. Ein Gast hatte ihr gewunken. Sie legte die Zigarette in den Aschenbecher. Und klopfte Heuer auf die Schulter. »Wenn ich zuhören würd, was die Leute ständig quatschen, wär ich schon im Irrenhaus.«
Sie ging zu einem der Tische. An dem saß ein älterer Mann, der, so wie er sie seit zehn Minuten anstarrte, am liebsten Susis Beine bestellt hätte.
»So ein Zufall«, sagte Sonja.
Sie hatten genügend kriminalistische Erfahrung, um zu wissen, dass jeder Zufall einen Stein in dem Mosaik bedeutete, das sie aus hunderten von Informationen zu einem Bild formten. Jeder Zufall hatte einen Sinn, ganz gleich, wie lange es dauerte, diesen zu entschlüsseln. Entscheidend war, wie ihr Chef sagte, der Intuition zu trauen.
»Wir brauchen eine Beschreibung des Mannes«, sagte Süden zur Bedienung.
»Kann ich nicht«, sagte Susi.
»Doch«, sagte er.
Eine Viertelstunde nach Dienstschluss, gegen ein Uhr nachts, saß Susi im Dezernat 11 vor einem Computer. Und korrigierte das Phantombild, das ein Kollege von Tabor Süden nach ihren Angaben anfertigte. Sonja und Martin Heuer waren nach Hause gefahren. Sie hatten es nicht geschafft, Süden davon zu überzeugen, Susi erst am nächsten Morgen ins Büro zu bestellen. Nachdem die beiden gegangen waren, trank er noch zwei Biere. Und legte sich anschließend im Dezernat auf die alte Couch bei den Kollegen von der Brandfahndung. Er wachte fünf Minuten vor Susis Anruf auf. Sie stand unten vor der verschlossenen Eingangstür. Er holte sie ab.
»So ungefähr«, sagte sie. Und gab Roland, dem Computerzeichner, den Ausdruck zurück.
»Mit diesem Mann hat Ariane Jennerfurt im Bistro gesprochen«, sagte Süden.
»Ich glaub schon.«
»Ich hab noch mehr Augen und Ohren und Nasen auf Lager«, sagte Roland. Und goss Tee aus einer Thermoskanne in seine Tasse.
»Passt schon«, sagte Susi.
Mit Niklas Schilff hatte das Bild nur eine vage Ähnlichkeit.
In der Nacht war sie aufgewacht. Im Zimmer war es kühl. Mr. Spock, der riesige Stoffelch, hockte wie immer auf dem runden Drehstuhl vor dem Klavier. Regen prasselte auf den Asphalt.
Das Rauschen, das Ariane Jennerfurt durch das gekippte Fenster hörte, bereitete ihr Freude.
Eine Weile fühlte sie sich geborgen. Selbstvergessen saß sie aufrecht im Bett, die weiche Decke zwischen den Fingern.
Schlafverschönt. Still.
Dann ging ein Ruck durch sie. Und ihr Bewusstsein katapultierte sie zurück in die unveränderbare Nacht.
In panischem
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