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Verzeihen

Verzeihen

Titel: Verzeihen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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sie schon wieder gepackt. Seine Hände gruben sich in ihren Rücken. Er zerrte an ihr. So lange, bis sie aus dem Bett fiel.
    Sie wimmerte. Er schleifte sie durch die Wohnung. Über den Teppich. Zerrte sie bis zur Wohnungstür. Und zurück. Ins Schlafzimmer. Sie konnte sich nirgends festhalten. Alles ging viel zu schnell. Sie spürte seine kalten spitzen Finger.
    Und dann ließ er sie los.
    Sie lag vor ihm. Flach auf dem Bauch. Sie hatte immer noch ihr T-Shirt an. In ihrem Kopf donnerte es. Ihre Hände zitterten. Als wäre dies nicht ihr Körper. Als gehörten diese Gliedmaßen zu jemand, der abgehauen war.
    Es kam ihr so vor, als würden nicht Tränen ihren Blick trüben.
    Sondern Blutregen, der aus ihren Pupillen strömte. Schon wollte sie ihre Wange an den weichen Teppich schmiegen, da kniete Schilff sich vor sie. Mit gespreizten Schenkeln.
    Und zum ersten Mal, seit sie wach geworden war, schaffte sie es, etwas zu sagen. Das Sinnloseste von der Welt. Und doch war es genau das, was sie sagen wollte.
    »Du hast kein Kondom genommen.«
    Schilff sah sie an. Sah auf sie hinunter. Dann nahm er ihren Kopf in beide Hände. Und zwickte sie in die Wangen.
    »Ich brauch keinen Screwing Gum«, sagte er. Rutschte ein Stück vor und legte ihren Kopf zwischen seine Beine, auf sein nasses Geschlecht.
    Dieses Wort hatte sie noch nie gehört.
    »Screwing Gum?«, sagte sie leise. Er schlug ihr mit der Hand auf den Hinterkopf. Fast zaghaft. Dann schwieg sie. Und er auch.
    Eine Minute. Zwei Minuten. Drei Minuten. Vier Minuten.
    Er rutschte von ihr weg. Hielt ihren Kopf weiter fest. Sie krümmte sich. Und wünschte, er würde sie verenden lassen.
    Wie ein Tier.
    Aus Versehen stieß er vom Nachtkästchen eine Kladde zu Boden. Er hob sie auf. Und stellte fest, dass es ein Tagebuch war. Ohne zu begreifen, wieso, trug er das Heft mit dem festen Einband in die Küche, wo das weiße Licht über der Spüle noch brannte. Er setzte sich an den Tisch, nackt, und begann zu lesen.
    Und was er las, katapultierte ihn aus der Nacht.
    Er hatte den Eindruck, die Wörter waren eine Falle. Sie sollten ihn täuschen. Und seine Aufgabe war es, die Lüge zu durchschauen. Und zu begreifen, was Ariane wirklich damit meinte.
    Unter dem Datum des dreißigsten Oktober las er, wie sie und ihre Freundin Iris nach dem Blutspenden in einem Café saßen und die Vergangenheit auslachten. Unter dem zweiten November, einem Mittwoch, stand, eine Ärztin habe bei ihr angerufen und sie habe aufgelegt und nur dagesessen.
    Immer wieder blätterte Niklas Schilff mehrere Seiten vor. Und wieder zurück. Er hörte das Rascheln der karierten Blätter. Und schlug weitere Seiten um. Nur um das Rascheln zu hören, das anders klang als das Rascheln von Zeitungspapier. Wenn er Zeitung las, hörte sich das anders an. Das weiß ich doch. Merkwürdig. Und zwischen seinen Gedanken las er wieder ein paar Sätze. Und nach einiger Zeit stellte er fest, dass es immer dieselben Sätze waren. Immer derselbe Absatz. Dieselben Zeilen.
    Er fing an, den ersten Satz zu lesen. Und beim letzten Wort begann er von vorne.
    Wie lang er schon zu sich selber sprach, konnte er hinterher nicht sagen. Plötzlich hörte er eine Stimme. Und begriff, dass es seine war. Er las laut vor. Und hatte er einen Abschnitt zu Ende gelesen, blätterte er um. Er mochte das Geräusch. Er bildete sich ein, das Papier zu riechen, wenn er die Seite umschlug. Und der Geruch kam ihm vertraut vor.
    Er begriff. Und träumte zugleich. Er begriff, dass er eine infizierte Frau vergewaltigt hatte. Und sah sich zur selben Zeit in seinem Appartement in Los Angeles am Fenster sitzen. Samstags. Deutsche Zeitungen vor sich auf dem Tisch, in denen er blättert. An der Wand direkt neben ihm hängt ein signiertes Foto von Robert De Niro. Durch das offene Fenster dringt der Duft frisch gemähter Wiesen herein. Drüben, auf dem Evergreen Cemetry, laufen bunt gekleidete Jogger zwischen den Gräbern. Manchmal hört er Stimmen. Er ist am richtigen Ort.
    Es geht ihm gut. Er hat Aufträge. Und in einer Woche erscheint sein erstes Buch.
    Ich hab eine infizierte Frau gefickt, dachte er. Und las:
    »Über die Frage, wo ich mich angesteckt haben könnte, bin ich so sehr erschrocken, dass die Ärztin meine Hand nahm und mir über den Rücken streichelte. Was hätte ich denn sagen sollen? Am liebsten hätte ich gesagt, ich habe mich nicht angesteckt, ich bin keine Nutte mehr. Ich bin weg vom Dreck. Ich bin jetzt Wirtin und ich schlafe nicht mit fremden

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