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Verzeihen

Verzeihen

Titel: Verzeihen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Bestimmt gab es eine Menge Männer, die am Heiligen Abend nicht wussten, wohin. Und so hätten sie eine warme Herberge. Das waren Iris’ Worte: eine warme Herberge. Iris würde eine ihrer Suppen kochen, und sie könnten alle gemeinsam essen. Und Glühwein trinken. Auf dem Tresen brennen Kerzen. Es gibt Gebäck und Musik. Und wer was erzählen will, der erzählt was. Was auch immer. Und dann erheben wir das Glas auf Paulus, der uns zu diesem Lokal verholfen hat. Und wir trinken auf die Zukunft. Und die Zukunft beginnt jeden Tag um Mitternacht.
    »Ich wünsch mir, dass Sie zu Ben gehen«, sagte sie. Und trank behutsam einen Schluck.
    »Wieso hörst du mir nicht zu? Wieso tust du nicht, was ich dir sage?«
    »Bitte… bitte…«
    »Ben heißt er also, Ben. Soll ich ihn umbringen? Oder soll ich noch warten? Was ist das für einer? Wo wohnt der? Wieso darf der dich ficken?«
    »Er… er ist ein Freund…«
    Schilff sah sie an. Trank. Sah sie wieder an. Und lachte. Er schüttelte sich vor Lachen. Prustete. Er musste die Dose auf dem Tisch abstellen. Er lachte immer lauter. Ariane duckte sich unter dem Gebrüll. Sie hielt sich die Unterarme vor die Ohren.
    Doch sein Lachen drang in sie ein. Wie seine Schläge. Seine Stöße.
    Und dann stürzte er zum Fenster.
    Und schlug mit der Stirn dagegen. Fünfmal. Sechsmal. Draußen lodert das Feuer. Er kann es sehen. Es lodert in den schwarzen Himmel. Und sein Vater wirft immer noch einen weiteren Stapel Papier in die Flammen. Wann hat er das alles geschrieben? Und noch ein paar Blätter. Und noch einen Packen. Niklas will ihm zurufen: Hör auf! Hör auf! Aber durch die Scheibe ist er nicht zu hören. Und rauszugehen traut er sich nicht. Jetzt zerreißt sein Vater die Blätter. Jedes einzelne. Und alles verbrennt. Du hast doch auch was für Mama geschrieben, sagt Niklas zur Fensterscheibe. Seine Mama hat es sogar gelesen. Sein Vater ist ein heimlicher Schriftsteller. Das darf niemand wissen in der Holzfabrik. Die lachen ihn sonst aus. Und Mama wird nie mehr das lesen, was er heimlich schreibt. Niklas weiß nicht, was sein Vater schreibt. Er hat es ihm nie gezeigt. Von mir aus! Von mir aus!, schreit er gegen das Fenster. Und da erlischt das Feuer. Und sein Vater holt eine Axt. Und schlägt auf das verkohlte Holz und die Asche ein. Und schlägt. Und schlägt.
    Schilff rannte zum Tisch. Und stützte sich mit beiden Händen ab. Er streckte den Kopf vor. Und löschte mit einem Rülpser alle sechs Kerzen aus.
    »Weltmeister!«, brüllte er aus Leibeskräften.
    Umbettet von Kissen saß Paula Jennerfurt auf ihrer Couch. Kraulte ihre Katzen, die sich auf ihren Beinen fläzten.
    »Wenn Er nämlich wirklich geboren worden wäre«, sagte sie, »dann würden wir heut nicht hier sitzen und uns quälen, dann hätte unser Leben einen Sinn. Aber unser Leben hat keinen Sinn, auch sieben Leben haben keinen Sinn, nicht wahr? Brav, schön stillhalten, stillhalten ist oft die beste Lösung.«
    Auf der Kommode stand ein Einmachglas voll Wasser. Darin ein Latschenzweig. Die Stehlampe warf gedämpftes Licht ins Wohnzimmer. Auf der Terrasse vor dem Haus gegenüber brannten an einem kleinen Christbaum die elektrischen Kerzen. Trotzig blickte Paula durchs Fenster.
    »Uns stört niemand«, sagte sie und trank aus einer Tasse mit Goldrand kalten schwarzen Tee. Die Katzen schnurrten.
    »Wenn Jenny tot ist, sind wir die letzten Überlebenden.« Nach einiger Zeit, während der es still war und sogar die Katzen verstummten, schniefte sie. Dann neigte sie sich, ohne die Tiere zu erschrecken, zur Seite und knipste die Stehlampe aus.
    Selig dösten die Katzen in der Dunkelheit. Ab und zu tropfte es auf ihr Fell.

26
    A n der Bar des Dampfbades war er der einzige Gast. Wenn jemand hinter ihm vorbeiging, drehte er sich nicht um. Männer und Frauen, nur mit Tüchern bekleidet, in Badeschlappen.
    Niklas Schilff hatte sich ordentlich rasiert. Auch den Schädel.
    Die Brille geputzt. Die schwarzen eckigen Schuhe mit der Silberschnalle blank gerieben. Und einen sauberen schwarzen Pullover angezogen.
    Es war ihm ein Bedürfnis, einen guten Eindruck zu machen.
    Er hatte viel Zeit. Er saß auf dem Barhocker. Und trank nichts.
    Die Hände gefaltet, atmete er die duftende Luft ein, die ihn nicht anekelte.
    Er hörte patschende Schritte. Gedämpfte Stimmen. Wasserrauschen.
    Er stellte sich vor, wie er später diesen Ort des Gleichmuts und der Sauberkeit verließ. Sich in einer öffentlichen Toilette erleichterte. An einem Kiosk eine

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