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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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und mich zum Eislaufen mitnehmen müssen. Ich bin hingefallen und er hat mich fünf Runden mitgeschleift, bis ich ganz nass war. Dann hat er mich zum Ofen gestellt, zum Trocknen, und hat endlich allein fahren können. Mein Vater hat immer gesagt, wenn dir wer was tut, dann tu zwicken, kratzen, beißen, spucken. An das hab ich mich gehalten. Das hab ich gemacht, wenn sie meinen Bruder sekkiert haben. Das hab ich immer gemacht. Ich war ein Revoluzzer. In der Schule haben sie gesagt, so ein liebes Mädchen, aber das Mundwerk! Ich war von der Frau Direktor der Liebling. Wenn mich die Lehrer strafweise zu ihr geschickt haben, hat sie gesagt, komm, tun wir den Philodendron abstauben. Wie der jüngere Bruder in den Kindergarten für Behinderte gegangen ist, hab ich gesehen, dass andere gar keine Hände haben. Die haben mit den Füßen gezeichnet. Ich hab das zu Hause probiert. Ich hab überhaupt viel gezeichnet. Vielleicht wollte ich deshalb auf die Modeschule, weil ich ja nicht Tischler lernen hab dürfen. Nicht die noble Modeschule in Hetzendorf, sondern die Fachschule für Damenkleider. Die Aufnahmeprüfung hab ich gleich bestanden.
    Zu der Zeit sind gerade die Jeans rausgekommen, da muss ich zwölf gewesen sein. Mein Vater hat mir eine rote gekauft. Das war was! Ich hab auch immer seine Pullover getragen, wo mir die Ärmel viel zu lang waren, das war damals schicki-micki. Dann hat’s die Conny-Röcke gegeben, so bauschige, und meine Mutter hat kein Geld gehabt für den Stoff. Die hat ihren Ballonmantel zerschnitten und mir draus einen Conny-Rock gemacht. Die erste Liebe, hat ja auch gut angefangen. Er hat schon damals gesoffen, ich hab’s nur nicht gemerkt. Bei uns daheim hat niemand getrunken. Ich trink heute noch nix. Nicht einmal einen Sekt zu Silvester. Beim Heurigen bestell ich mir einen G’spritzen, damit es nicht blöd ausschaut, und dann füll ich Mineral nach, bis nur mehr Wasser drin ist, mit dem komm ich Stunden aus. Mit achtzehn hab ich die Claudia gekriegt, das war ja auch gut so. Die Sabina war nicht geplant, da hat’s nämlich schon gekriselt in der Ehe. Aber es braucht halt eine Zeit, bis man von so einem loskommt. Die Kinder brauchen einen Vater, hab ich mir gedacht. Dabei war er eh nie einer. Alimente hat er nie gezahlt. Dreihundertfünfzig Schilling hat mir der Staat geben wollen, pro Kind. Ich hab gesagt, das könnt ihr euch auch behalten, das ist zum Leben zu wenig und zum Verhungern zu viel, gebts das wem anderen. Dann haben sie mich vorgeladen aufs Jugendamt, warum ich das Geld nicht annehme. Ich hab mich gefrotzelt gefühlt. Nicht bös sein, hab ich gesagt, was mach ich mit dreihundertfünfzig Schilling, allein der Kindergarten kostet vierhundert. Und plötzlich haben die mir tausendfünfzig Schilling pro Kind gegeben. Ich hab immer gesorgt für die Mädchen, mein ganzes Leben geschuftet. In der Nacht hab ich genäht, Blusen und Röcke für Bekannte. Ich hab einen richtigen Kundenstock aufgebaut. Hundert Hosen in der Woche oder hundert Bluseneinsätze. Bis vier in der Früh bin ich bei der Nähmaschine gesessen, das hat mir nichts gemacht. Und am Wochenende hab ich bei der Liesi-Tant beim Frühschoppen geholfen und beim Trachtenverein.
    Die hat in der Siemensstraße das Schutzhaus gehabt. Die war nicht deppert, die Liesi-Tant. Schau, Puppi, hat sie immer gesagt, das ist eine Alkoholikerin, die haben alle keinen Hintern und keine Wadeln. Stimmt wirklich. Wenn so eine ohne Hintern und ohne Wadeln zu uns in den Imbissladen gekommen ist, hab ich immer schon gewusst: Die sitzt jetzt mit dem Koch, heute wird’s wieder lang. Bei dem hat’s immer was zum Saufen gegeben und immer umsonst. Manchmal hat mich auch einer eingeladen, einen doppelten Bailey’s hab ich gesagt und ihm den dann dreimal verrechnet. So macht man das, das hab ich auch von der Liesi-Tant. Und wie man einen Wodka Juice ohne Wodka macht. Einer von denen war ein bissel g’scheiter, riechen lass mich, hat er verlangt. Na ja, wennst einmal mit einem Alkoholiker verheiratet warst. Wie ich gehört hab, dass er gestorben ist, bin ich nach Stammersdorf auf den Friedhof, vergewissern , ob’s stimmt. Er ist nicht am Grabstein gestanden, die Schwiegermutter witzigerweise schon, die war aber noch gar nicht tot. Vielleicht, weil die vom Land gewesen sind, vielleicht ist das dort so, mit den Gräbern. Vielleicht... Aber das kann ich meinen Eltern nicht antun. Mein Vater braucht mich, weil ich ihm immer einkaufen geh. Der hat’s mit den

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