Verzweifelte Jahre
selten .«
Er geht nicht näher drauf ein. Ich wechsle das Thema. »Neulich, bei der Natascha... « »Ja ?« , ermuntert er mich. »Ich habe Ihnen doch von den Sachen erzählt, die sie mir aus dem Verlies zum Waschen gegeben hat .« Er nickt. »Vor Monaten hab ich sie ihr schon zurückgegeben, eh dreimal gewaschen und nach Wochen auch irgendwann gebügelt. Das letzte Mal komm ich zu ihr in die Wohnung, hängt das Zeug schon wieder auf dem Wäscheständer .« »Machen Sie sich Sorgen ?« »Ich denke darüber nach«, sage ich. »Das muss so was Zwanghaftes sein, wie bei Frauen, die irgendwas Schlimmes erlebt haben und sich ständig duschen, weil sie sich schmutzig fühlen. So stell ich mir das zumindest vor .« »Mhm.« »Sorgen mach ich mir um was anderes.« Er schaut mich an. »Wie das einmal werden wird... Ich meine mit der Natascha, später, wenn sie vielleicht einmal wen kennenlernt. Das wird für beide schwer, verstehen Sie ?« »Natürlich.« »Und dann überlege ich mir, wie das... « »... mit Ihnen ist ?« , ergänzt er meinen Satz. »Ja. Sicher. Langsam beruhigen sich die Dinge, da denkt man halt auch über so was nach. Aber ich komme da auf keinen grünen Zweig .« »Inwiefern?« »Ich habe kein Vertrauen mehr. Zu niemandem, den ich nicht schon ein halbes Leben kenne, wissen Sie? Nehmen wir einmal an, ich treffe wen und es könnte sich was anbahnen. Ich denk mir sofort, der kann mir erzählen, was er will, muss nichts davon stimmen. Vielleicht hat er seine Kinder misshandelt oder seine Ex-Frau umgebracht. So was sieht man den Leuten ja nicht an .« »Macht Ihnen das Angst ?«
»Nicht direkt, ich treff eh niemanden. Die einzige Möglichkeit, jemals wieder eine Beziehung zu führen, ist, wenn sich im Freundeskreis jemand scheiden lässt oder Witwer wird .« Ich spiele mit meinem Ring. »Irgendwie sehne ich mich schon nach einer Schulter .« Manchmal, denke ich. »Andererseits fühle ich mich wohl, so wie ich lebe .« »Allein?« »Ich bin nicht allein. Durch meine Schmuckpräsentationen komm ich dauernd mit neuen Leuten zusammen, da sind viele Freundschaften entstanden, zu denen, die ich eh schon habe .« Ich spiele weiter mit meinem Ring. »Ich glaube, ich bin kein unsympathischer Mensch .« Er lächelt. Unsere Zeit ist um. Der professionelle Teil ist beendet. Er begleitet mich zur Tür. »Sie sind schon in Ordnung«, sagt er und gibt mir die Hand. Ja, denke ich. Ich bin schon wieder sehr in Ordnung.
*
Ich bin umgeben vom Licht. Ich sitze vor der riesigen Lampe und lasse meine Gedanken schweifen. Eine Stunde muss ich ruhig halten, damit es wirkt. Ich habe die Licht-Therapie wegen meiner kaputten Schulter begonnen, mittlerweile glaube ich, sie tut auch meiner Seele gut. Fast noch mehr als der Schulter.
An manchen Tagen brauche ich die alten Tricks, die mir Tina, die Numerologin, damals beigebracht hat. Autogenes Training, atmen, entspannen. Heute geht alles von selber. Ich denke an Natascha.
Sie kommt gut zurecht in ihrer Schule. Der Einzelunterricht war eine gute Idee. Es ist nichts für sie, in einer Klasse zu sitzen. Nicht so sehr wegen der Mitschüler, sie ist eine Einzelkämpferin und wird immer eine bleiben. Jetzt holt sie erst einmal den Hauptschulabschluss nach, aber dabei wird’s sie es nicht belassen, da bin ich mir sicher.
Ein Jahr ist sie jetzt beinahe wieder da. Noch einmal so lang wie die schreckliche Zeit im Verlies wird es dauern, bis sie das Gröbste hinter sich hat, denke ich. Bei dem, was wir schon alles geschafft haben, in diesen Monaten, geht es vielleicht auch schneller. Kann ja sein, es kommt einfach ein heller Moment, an dem irgendwer einen Schalter umlegt und alles Furchtbare auslöscht.
Es kommt einfach ein heller Moment. Ich richte mich etwas auf in meiner Position. Einfach ein heller Moment. Ich hole mir das Licht, denke ich. Ich hole mir das Licht und schenke es anderen. Die Ausbildung ist intensiv, aber kurz, hat mir die Therapeutin voriges Mal gesagt. Man macht einen Kurs, sechs Wochen lang, eine Prüfung, dann darf man den Beruf ausüben. Menschen heilen. Das ist es. Das ist meine Zukunft. Ich öffne die Augen und schaue ins Licht.
Epilog
Es brennen nur ein paar Kerzen. Außer ihnen ist niemand in der Lichterlgrotte. Brigitta Sirny bleibt kurz am Eingang stehen. Einen Augenblick muss sie sich an die schummrige Umgebung gewöhnen. Natascha geht in den Raum. Ihre Mutter stellt sich neben sie, sie will nicht zu laut reden. »Du stehst genau richtig«, sagt Brigitta
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