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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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noch ein letztes Hindernis dar, so wie beispielsweise Odysseus noch die Werber um Penelope loswerden musste. Das Telefon läutete. »Hallo, Redaktion Vera, Sprech ich mit Frau Sirny ?« Meine Odyssee begann.
    Die Gänge nahmen kein Ende. Kaum betritt man als Unbekannter das ORF-Zentrum am Küniglberg in Wien-Hietzing, ist man in seinem Bauch gefangen. Hässliche Korridore ziehen sich wie Schläuche durch das riesige Gebäude. Ohne den Redakteur, der uns vom Parkplatz abgeholt hatte, wären wir längst verloren gegangen.
    Maske stand über der Tür. Der Redakteur klopfte höflich und setzte mich in einen Friseursessel vor einem von Lämpchen eingefassten Spiegel. Die Visagistin lächelte mir von hinten zu. Die Menschen waren recht wortkarg in meiner Umgebung, man wusste nicht, was man mit mir reden sollte, außer Fachliches.
    »Wir werden nicht viel tun«, sagte sie, »ein bisschen frisieren, leichtes Make-up, so, dass Sie halt nicht glänzen, das kommt schlecht bei den grellen Scheinwerfern .« Sie sah Margot an und deutete auf den Nachbarsessel. »Sie müssen nicht stehen .«
    Margot setzte sich, ließ aber ihre Hand auf meiner Armlehne. Ich nahm sie und drückte sie kurz. Ich war froh, dass sie mitgekommen war. Für mich war diese Welt vollkommen neu. Mitten aus der Rennbahnwegsiedlung in die Talkshow mit den meisten Zuschauern, das war schon ein Kontrastprogramm. Die Kameras vor der Wohnung waren was anderes, dort war ich Opfer, verdächtig. Hier behandelte man mich als Star. Margot war die einzige, die normal mit mir umging.
    Sie war auch eine Kartenlegerin. Wie die, bei der ich gleich nach der Rothaarigen war. Ich hatte sie von früher gekannt, meine Schwägerin hatte sich damals scheiden lassen und mich gebeten zum Termin mitzugehen. Ich wollte zuerst nur als Begleitung mit, aber dann hat’s mich interessiert. Sie werden noch ein Kind kriegen, prophezeite sie mir, mit dem Koch. Den Namen hat sie nicht gesagt, nur dass ich einen Brünetten kenne, der von seiner Mutter nicht loskommt. Und gestimmt hat’s. Dann hat sie ein bissel übers Ziel hinausgeschossen und mich drauf aufmerksam gemacht, dass ich aufpassen soll, weil meine Schwägerin Selbstmord begehen will, aber irgendwie war sie mir sympathisch. Margot war ihr ein bisschen ähnlich.
    »So, fertig«, sagte die Visagistin. Sie nahm mir den Schutzumhang ab und half mir aus dem Sessel. »Gefallen Sie sich ?« »Ja, danke .« Mein Aussehen war meine geringste Sorge. Wie aufs Stichwort stand der Redakteur wieder in der Tür. »Wir sind viel zu früh, Frau Sirny, wenn Sie wollen, können wir noch bei der Probe vorbeischauen .« Wir liefen die endlosen Gänge wieder zurück bis zum Studio eins. Der Redakteur hielt uns die Tür auf und zeigte auf etliche freie Plätze in der letzten der aufsteigenden Reihen im Zuschauerraum, wie im Kino: »Setzen Sie sich da hin, da sieht Sie keiner, ich hole Sie dann wieder hier ab .« Der Saal unter uns war schon ziemlich voll. Auf der Bühne war alles schon aufgebaut. Die Kulisse sollte Wohnzimmer-Atmosphäre vermitteln. Die rote Couch, die bunten Fauteuils, ein kleiner Tisch, ein Stehpult für die Moderatorin, dahinter eine gelbe Wand mit einer Tür in der Mitte und dem überdimensionalen Logo der Sendung. Mitten drin in dem Ambiente stand ein junger Mann mit langen Haaren, zusammengebunden zu einem Pferdeschwanz, und dirigierte die Menge. »Wir werden das noch einmal üben«, sagte er in sein Mikro. »Wenn der Kollege da drüben das Applausschild hochhält, was machen Sie dann ?« Die Menge klatschte. »Das geht aber schon noch ein bisschen lauter«, rief er. Die Menge klatsche lauter. Wie eine Herde Duracell-Hasen. »Das war alles ?« , schrie er. Die Menge klatschte und trommelte mit den Füßen auf dem Boden. Der Mann auf der Bühne verbeugte sich. Und dort sollte ich dann stehen. Beklatscht, weil meine Tochter entführt worden war. »Und jetzt die Lacher«, befahl der Pferdeschwänzige. »Wenn der Kollege da drüben das Lachenschild hochhält, was machen Sie dann ?« Die Menge lachte. »Das geht aber schon noch ein bisschen lauter«, rief er. Die Menge lachte lauter. Wie nach einem Sketch beim Villacher Fasching. »Das war alles ?« , schrie er. Die Menge lachte und trommelte mit den Füßen auf dem Boden. Der Mann auf der Bühne formte Zeigefinger und Daumen zu einem Kreis. Und dort sollte ich dann sitzen. Wenn der Kollege da drüben das Applaus- mit dem Lachenschild verwechselte, jubelten sie dann auch? Margot stupste

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