Verzweifelte Jahre
mich ein bisschen. Als das Kartenpaket ausgebreitet auf dem Tisch lag, verzog sie keine Miene. Nur das Pergament in ihrem Gesicht spannte sich ein bisschen. Dann sah sie mich an und sagte: »Nicht erschrecken .« Ich hätte auch gar nicht gewusst, warum. »Der Tod«, sagte sie, »ist nur eine Karte .«
*
Was hatte ich da nur losgetreten? Narren. Hohepriesterinnen. Magier. Eine grindige Wohnung. Eine rothaarige Hexe. Der Tod.
Sie bedeutet Verlust, hatte die Kartenlegerin mir erklärt. Loslösung von alten Bindungen. Das treffe ja auf mich zu, meinte sie. Ich steckte in einem transformatorischen Prozess, mehr sei da nicht herauszulesen.
Die Sache mit dem Magier ließ mich nicht los. Das Symbol deckte sich mit meinem Gefühl. Ein paar Wochen hatte ich mich nicht vom Telefon wegbewegt, um keinen Anruf zu verpassen, keine Information zu versäumen. Jetzt drängte es mich nach außen. Die Polizei trat auf dem Fleck, ich musste selber was tun. Ich ging in die Bibliothek und besorgte mir ein paar Tarot-Bücher, in denen die Reise des Helden vorkam.
Die Reise tritt der Narr an, las ich. Der wie ein kleines Kind offen für alle und alles ist, sich aber auch um Gefahren noch keine Gedanken macht.
Stimmt, dachte ich. Man denkt nicht an Gefahren für einen selbst, wenn man sein verschwundenes Kind sucht. Mutter und Vater werden verkörpert von Herrscherin und Herrscher, wobei die Herrscherin das Prinzip der uneingeschränkten Fülle und des Lebens vertritt, und der Herrscher das ordnende und schützende Prinzip. Der Koch, ein schützendes Prinzip ?, dachte ich. Dann verstand ich, dass da nicht wir gemeint waren, sondern meine Eltern. Der Papst oder Hierophant verkörpert das tradierte Wissen oder Buchwissen, auch, aber nicht nur, in spirituellen Dingen. Diese Karten stellen die Kindheit des Helden dar. Das Ende der Kindheit bedeutet auch den Wunsch nach Partnerschaft und Liebe, in Form der Karte der Liebenden. Dieses Thema ging völlig an mir vorbei. Der Wagen symbolisiert den Wunsch, die Heimat zu verlassen und Neues zu erfahren. Genau. Die Erfahrungen, die dabei gemacht werden, bringen ein Empfinden für Gerechtigkeit und deren Notwendigkeit hervor oder, folgt man Waites Reihenfolge, die Kraft für weitere Taten. Ja, dachte ich, jetzt sind wir dort, wer immer dieser Waite ist. Der Einsiedler steht dem Reisenden mit Rat zur Verfügung und ist gleichzeitig Hinweis auf die Möglichkeit, Erkenntnis nicht nur durch Handeln, sondern auch durch Kontemplation zu gewinnen. Der Nutzen dieser Möglichkeit erschließt sich dem Reisenden, wenn er durch die Drehung des Schicksalsrads die Möglichkeit zum aktiven Handeln verliert und/oder ihm ein bestimmtes Ziel gesetzt wird. Durch die Wendung des Schicksals erhält der Reisende die Kraft oder, auch nach Waite, die Einsicht in die Notwendigkeit der Gerechtigkeit, um als der kopfüber Gehängte die Reise in die Dunkelheit der Unterwelt oder in sein eigenes Inneres anzutreten... Ich musste das Buch kurz beiseitelegen und nahm es gleich wieder auf. Der Tod steht für den Übergang von der äußeren Welt in die Innen- oder Unterwelt. Erste Erkenntnis ist dann die Notwendigkeit der Mäßigung, des Ausgleichs und Austausches zwischen widerstrebenden Kräften. Ich begriff längst nicht alles, aber die Parallelen begannen mich zu bedrängen. Es war, als erzählte mir da wer meine eigene Geschichte. Die Stadien, die ich zu durchlaufen haben würde. Und wie ich sie durchstehen könnte. Ich zündete mir eine Zigarette an und versuchte einmal durchzuatmen. Der Tod steht für Illusionen. Da war es wieder. Der Tod steht für Illusionen, die den Reisenden blenden und gefangen halten, oft die scheinbare Erfüllung einer Sehnsucht. Ich spürte, wie sich die Haare auf meinen Armen aufstellten. Alles umsonst? Alles nur Schimäre? Diese Illusionen werden durch den Fall des Turmes zerstört, und in der Karte des Sterns findet der Reisende das Ziel seiner Suche und/oder seine innere Ruhe und sein inneres Gleichgewicht. Das Ziel meiner Suche! Diese Reise unter dem Zeichen des Mondes ist eine gefahrenvolle. Erreicht der Reisende das Sonnenlicht wohlbehalten wieder, ist das Ziel jedoch noch nicht erreicht. Erst die Karte der Welt stellt das endgültige Ziel der Reise dar, die letztlich die Reise zur eigenen Vervollkommnung ist. Die Entwicklung zu einem Menschen, der sich sowohl seiner äußeren als auch seiner inneren Kräfte bewusst wird und diese auch einsetzen kann. Zunächst stellt die Karte des Gerichts
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