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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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anzukommen, hat sie sich die Enge als Umarmung vorgestellt. Was für ein schöner Gedanke, wenn dir die Platzangst die Kehle zudrückt. Sie habe sich die Weite vorgestellt, sagt sie. In dieser Umarmung habe sie sich entspannen, durchatmen und sich ausmalen können, dass das irgendwann einmal aufhören wird. In dieser Umarmung habe sie sich optimal entfalten können. Man müsse das nutzen, was da ist, sagt sie. Sie hat aus nichts alles gemacht.
    Ich habe mir die Leute, die Häuser rundherum vorgestellt, oben, die ganze Erde, sagt sie auch in einem Interview. Ich habe das so rasterförmig betrachtet. Es gibt den Mikrokosmos, den Makrokosmos, ich habe mein eigenes Biotop dort unten gehabt. Von den Maßstäben war alles viel kleiner. Manche Leute haben ein Wohnzimmer, ein Esszimmer, ein Schlafzimmer, ich habe mir halt einen Wohnbereich, einen Essbereich, einen Schlafbereich, einen Sanitärbereich gemacht. Jetzt hat sie das alles wirklich.

*

    Ich sortiere die Wäsche. Ich habe es lange hinausgezögert. Es sind Nataschas Sachen aus dem Verlies. Sie hat sie mir in die Hand gedrückt, nachdem die Kripo sie wieder freigegeben hatte.
    Mechanisch werfe ich die Stücke auf die kleinen Haufen vor der Waschmaschine. Eins auf den hellen Berg, eins auf den dunklen. Mehr schaffe ich nicht. Ich gehe ins Wohnzimmer und zünde mir eine Zigarette an.
    Ich mache weiter. Das Bad riecht nach Moder. Warum will sie das Zeug aufheben ?, frage ich mich. Wegschmeißen, verbrennen, das wäre das Erste gewesen, was ich damit gemacht hätte. Sie verbindet irgendwelche Gefühle damit, denke ich. Ich weiß nicht, welche.
    Es dauert Stunden, bis ich den ersten Berg in der Waschmaschine habe. Ich höre das Geräusch der Trommel. Ich fürchte mich davor, dass es aufhört. Die Sachen werden sauber sein, aber es wird ihnen immer was Schmutziges anhaften. Ich setze mich auf die Couch und rauche.
    Mir tut die Mutter so leid, hat Natascha unlängst gesagt. Sie würde so gern mit ihr reden. Über die Polizei hat sie versucht, den Kontakt aufzunehmen. Die ältere Dame hat abgelehnt.
    Was muss in dieser Frau vorgehen, denke ich. Meine Tochter und ich haben uns wieder gefunden. Sie hat alles verloren. Den Sohn, den Glauben. Ich bin die Mutter der Heldin, sie ist die Mutter des Monsters. Trotzdem, er war ihr Kind.
    Der Aschenbecher vor mir füllt sich. Aus dem Bad kommt ein lauteres Geräusch, der Schleudergang. Ich hole die Sachen aus der Maschine, es riecht noch immer nach Moder. Ich lege ein Stück nach dem anderen in den Trockner. Relikte der Einsamkeit, denke ich. Vielleicht will Natascha sie deshalb aufheben. Als eine Brücke zwischen Gestern und Heute. Es sind Gegenstände. Mit denen tut sie sich oft immer noch leichter als mit Menschen.
    Ich habe nach wie vor noch ein großes Problem, mit der Emotionalität der Leute umzugehen, sagt sie manchmal. Sie nehmen etwas, was sachlich gemeint war, mitunter zu persönlich. Sie versuche da, etwas einfühlsamer zu sein. Die ersten Begegnungen nach der Flucht müssen wie eine Invasion für sie gewesen sein.
    Sie hat sich das überlegt im Verlies und ausgesprochen in einem Interview. Es war mir bewusst, dass ich umringt sein werde von Menschen, die sich aus diversesten Gründen um mich bemühen. Sei es, weil sie Familie sind und mich lieben, sei es, weil sie Profit aus der Sache schlagen wollen, sei es, weil sie sich wichtig machen wollen. Manche seien einfach nur neugierig, manche geldgierig. Irgendwie weiß ich, keine Ahnung, woher, dass alles, was sie an bösen Absichten haben könnten, irgendwann auf sie zurückfallen wird.
    Natascha weiß viel über das Innenleben. Aber so gut wie nichts über die Außenwelt. Oft kommt sie mir vor wie eine Blinde, die plötzlich sehen kann. Und auch ihre Sprache muss sich erst an mehr als einen Zuhörer gewöhnen. Sie hatte schon immer eine sehr direkte Art, sich auszudrücken. Jetzt redet sie beinahe im Befehlston. Es ist schon besser geworden. Sie zieht Vergleiche und Parallelen, die mich erschrecken.
    »Das hat der Verbrecher auch immer zu mir gesagt .«
    Wir sitzen im Auto. Ich weiß gar nicht mehr, wovon ich gerade geredet habe. Ich steige auf die Bremse, fahre rechts an den Gehsteig.
    »Schau mich an«, sage ich und nehme sie an den Schultern. »Ich bin deine Mama .« Natascha nickt. Ich habe das Gefühl, es ihr noch oft sagen zu müssen. Und mir auch. Sie vergleicht mich immer wieder mit dem Verbrecher, und ich komme mir so schlecht vor dabei. Die Gefahr lauert in jedem

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