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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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Sonntag ist. Dass der im dreiundzwanzigsten Bezirk ist, also am anderen Ende von Wien. Dass das offenbar länger dauert, auch wenn sie nur ganz glatte Haare hat, die keinen komplizierten Schnitt brauchen. Dass ich eine Freundin gebeten habe, sie hinzubringen, damit sie ja nicht zu spät kommt. Dass sie eben die Natascha ist.
    »Drehts das Licht ab, sie kommt !« , ruft jemand. Wir stehen im Finstern. Kein Mucks. Die Tür geht auf. Das Licht geht an. Natascha ist da. Tusch. Verlegen steht sie vor uns. Dreißig Leute, nicht einfach für sie. Aber es sind keine Fremden. Und alle Gesichter sind fröhlich.
    Sie lächelt in die Runde. Im Chor singen wir Happy Birthday. Sie wird noch verlegener. Alle setzen sich. Sie kommt auf mich und den Koch zu und umarmt uns.
    Ein Freund von uns, der Discjockey spielt, will schon die erste CD einlegen. Ich klopfe mit einem Löffel an mein Glas. Fast treffe ich daneben, so nervös bin ich. Es wird still. Ich habe eine Rede vorbereitet.
    Tusch.
    »Liebe Natascha«, setze ich an. Meine Stimme ist etwas zittrig. Reiß dich zusammen, denke ich. »Liebe Natascha, liebe Gäste. Wir wissen, warum wir zusammengekommen sind .« Ich schaue meine Tochter an. »Es ist Nataschas erster Geburtstag in Freiheit. Ich war mir nicht sicher, ob wir den jemals feiern können. Ich bin so glücklich, dass wir alle hier sind. Für dich, Natascha.« Ich muss schlucken. Ich räuspere mich. »Dir habe ich eine Überraschung mitgebracht. Es war ziemlich schwer, die Leute aufzutreiben, aber wie du siehst, ist es mir gelungen. Und ich hoffe, dir damit eine Freude gemacht zu haben. Drei Menschen aus deiner Vergangenheit«, ich zeige auf Jenny, Stefanie und Carl-Michael, »ihr habt sicher das eine oder andere miteinander zu reden. Es wird hoffentlich ein netter Abend und wir können noch viele davon gemeinsam feiern. Schöne Tage, liebe Natascha, und alles Liebe zum Geburtstag .« Auf den letzten Satz hätte ich fast vergessen. »Ach ja«, sage ich, »das Buffet ist eröffnet .« Natascha ist gerührt. Alle anderen stürzen sich auf das Essen. Sie setzt sich neben mich und lehnt sich an meine Schulter. Wir reden nicht, es ist auch nicht nötig. Es herrscht gefräßiges Schweigen. Die Brötchen sind perfekt. Schmeckt jedem. Natascha geht von Tisch zu Tisch, tratscht mit allen ein bisschen, sammelt Geschenke ein und stapelt sie auf einem leeren Tisch. »Du musst sie aufmachen«, sage ich. »Wieso muss ich die jetzt aufmachen ?« , sagt sie. »Weil man das so tut«, sage ich. Sie verdreht kurz die Augen, aber ich sehe, wie etwas aufblitzt in ihnen. Du hast drauf gewartet, dass ich die Augen verdrehe, scheint sie mir sagen zu wollen, bitte, tu ich dir den Gefallen. Sie geht zu ihrem Geschenkeberg. Tusch. Sie wickelt die ersten Pakete aus. Nicht sehr akribisch, sie ist also doch neugierig. Sie freut sich über jede Kleinigkeit. Armreifen, Bücher, Blumen. Sie bedankt sich bei den Gästen quer durch den Raum. Vom Koch bekommt sie eine Lederjacke, eine braune Hose und eine Bluse. Mein Schneiderblick sagt mir, dass die Hose zu klein, die Bluse zu groß und die Lederjacke ein wenig knapp ist. Macht nichts, denke ich, gehen wir sie halt umtauschen. Zuletzt macht sie mein Päckchen auf. Sie dreht es, schaut es von allen Seiten an, hält es sich ans Ohr und schüttelt es. Auch nicht das Beste für die Uhr, denke ich. Sie hat sie gesehen, wie wir einmal einkaufen waren im Donauzentrum. Die wünsch ich mir vom Papa zum Geburtstag, hat sie gesagt. Die kauf ich ihr, hab ich mir gedacht. Endlich reißt sie das Papier auf. »Die Esprit-Uhr! Danke! Und in meiner Lieblingsfarbe. Violett.« Die Uhr hat kein Band, sondern eine Spange, sie schiebt sie auf ihr schmales Handgelenk und zeigt sie in die Runde. Tusch. Die Musik beginnt. Einige sind schon mit dem Essen fertig und tanzen. Die Beatles singen »She loves you«. Ich sehe Natascha auf der Schaukel im Garten des Allgemeinen Krankenhauses. »Yellow Submarine.« Sie ist längst aufgetaucht. Natascha setzt sich zu ihren alten Freunden. Ab und zu werfe ich einen Blick hinüber, ich will keine Glucke sein. Sie unterhalten sich gut, lachen, gestikulieren. War die ganze Mühe wert, denke ich. Ich lasse mir ein halbes Glas Weißwein einschenken und fülle es mit Mineralwasser auf. Das wird wieder reichen für den ganzen Abend. Ich brauche keinen Alkohol zum Feiern, besser könnte meine Stimmung gar nicht sein. Carl-Michael fordert Natascha zum Tanzen auf. Sie geht sofort mit. Ein Boogie. Sie

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